Aspects of Charity. Concern for one’s neighbour in medieval vita religiosa (Vita regularis, Abhandlungen 45)
Von Gert Melville, Lit Verlag, Berlin 2011, XII + 174 Seiten, Broschur
Mit dem anzuzeigenden Band kann die erste Veröffentlichung des seit Januar 2010 zunächst an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, seit Januar 2011 auch an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig beheimateten interakademischen Forschungsvorhabens »Klöster im Hochmittelalter: Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle« vorgestellt werden. Im Rahmen dieses gemeinsamen Projektes widmen sich die Bearbeiter der Erforschung des spezifischen Beitrags der Klöster und Orden des hohen Mittelalters zur europäischen Moderne. Dabei wird von der Grundannahme ausgegangen, dass die mittelalterlichen Klöster im sozialen und religiösen Wandel des 11. bis 13. Jahrhunderts eine bislang unerreichte Rationalität der Lebensgestaltung entwickelten und dass in dieser Zeit Modelle jenes gesellschaftlichen wie kulturellen Aufbruchs entstanden, aus denen sich spezifische Ordnungskonfigurationen Europas ausformten. Das Projekt sucht, diese Strukturen durch Verknüpfung von textorientierter Grundlagenforschung und kulturwissenschaftlicher Perspektivierung zu erforschen. Mithin geht es sowohl darum, relevantes Schriftgut systematisch zu erschließen, in seiner Überlieferung zu dokumentieren und gegebenenfalls zu edieren, als auch um die Analyse von Leitbegriffen, bei denen der genuine Beitrag der Klöster und Orden zur Neubestimmung des Verhältnisses von Einzelnem und Gemeinschaft sowie die hieraus resultierenden Entwicklungen hin zu neuen Lebensentwürfen und Ordnungsmodellen in besonderer Weise deutlich wird.
Erste Ergebnisse dieser analytischen Arbeit liegen nun in Gestalt eines Sammelbandes vor. Die Vorbereitungen erfolgten seitens der sächsischen Arbeitsstelle, die im Juli 2010 am »International Medieval Congress« in Leeds beteiligt war und dort zwei Sektionen mit dem Titel »Caritas as Ethical Basis in Monasteries and Religious Orders« abhielt, für welche der Kreis der Mitwirkenden über den engeren Stab der Projektbeteiligten hinaus erweitert und internationalisiert werden konnte.
Als ein vielversprechendes Untersuchungsobjekt bot sich der zu beobachtende differenzierte Umgang mit Nächstenliebe im klösterlichen Leben des Mittelalters an. Die versammelten Aufsätze nähern sich der Thematik von verschiedenen, besonders signifikanten Seiten. Zum einen werden die älteren, an der Trennung von der Welt orientierten und damit stärker von internen Bindungen geprägten Gemeinschaften in den Mittelpunkt gestellt – hier namentlich benediktinische und cisterziensische (Dannenberg, Sonntag, Breitenstein) –, zum anderen aber auch diejenigen, die sich weltoffen und an der Interaktion mit allen Menschen interessiert zeigten – hier vor allem franziskanische und dominikanische (Melville, Ruta, Weigand). Sowohl in die gegenseitige ›brüderliche‹ caritas in den Konventen als auch in die caritas gegenüber jedermann können so Einblicke gewonnen werden. Es wurde zudem versucht, das breite Spektrum der Kommunikationsebenen von caritas zumindest bewusst zu machen. Der thematische Fächer reicht hier von juristischen und rechtspraktischen ›Grammatiken‹ von caritas als normativer Verhaltensstruktur (Brasington, Dannenberg) über symbolisch-rituelle Vergegenwärtigungen von caritas als ein stets zu realisierendes Handlungsmodul der vita religiosa (Sonntag) bis hin zur Predigt über caritas als ein zur rechten Lebensordnung führender Habitus (Weigand). Nicht zuletzt aber wird dem Angelpunkt von Nächstenliebe besondere Aufmerksamkeit geschenkt – der systemischen Verankerung von caritas zwischen den Menschen in der Liebe des Menschen zu Gott, welche bis zur »Verähnlichung« mit ihm führen sollte, wie von Bernhard von Clairvaux formuliert wurde, und welche dann entweder eine theologische Exegese der Liebe oder – in der Figur des Franziskus von Assisi – die praktische Liebesfähigkeit des »anderen Christus« hervorgebracht hatte (Breitenstein, Melville, Ruta).
Der Band beansprucht dabei keineswegs, sich dem Gegenstand in erschöpfender Weise genähert zu haben. Eine Gesamtanalyse zu erstellen, wird noch eines längeren Zeitraums bedürfen. Gleichwohl erschien es dem Herausgeber sinnvoll, bereits einige ›Probebohrungen‹ zu unternehmen – wenn damit auch nur erreicht werden könnte, auf die Fruchtbarkeit des Themas aufmerksam zu machen.