Säkularität – Religiosität – Egalität – in einer nicht nur auf die Grenzen verfasster Rechte fixierten Perspektive
Seit die Römer ihre Könige und deren Recht beseitigt haben, war ihr Recht das der Republik und als solches deren säkularer Rationalität verpflichtet. Es entstand eine säkulare Republik, die letztlich nur den Bürger als Basis kannte. Ganz anders war das Heilige Römische Reich deutscher Nation in seiner kaiserlichen Tradition eine nach seinem Verständnis auch göttlich bestimmte Ordnung. Der Kaiser stand nicht erst seit den Staufern in höherer Gnade Gottes; das Reich war nicht säkular,1 war aber mehreren Säkularisierungsprozessen ausgesetzt – von innen religionsrechtlich seit dem Westfälischen Frieden und zunehmend von außen seit dem Frieden von Lunéville 1801; Schritte, die zu seinem glanzlosen Ende führten. Im Westen haben allerdings seit der Aufklärung und der von ihr aufgegriffenen, aber in England schon älteren Theorie der Republik2 Revolutionen nicht nur neues, sondern auch genuin säkulares Recht ermöglicht. Säkularisierungsprozesse sind mithin vom konstituierenden Status der Säkularität als Grundsatz eines Gemeinwesens und seines Rechts zu unterscheiden. Um diesen geht es, Säkularisierungsprozesse sind hier nicht weiter Gegenstand.3
Daher verlangen jedenfalls seit der Aufklärung säkulare Verfassungen Religionen und Weltanschauungen ab, sich in die von ihnen geschaffenen säkularen Ordnungen rechtlich zu fügen. Dabei erfordert offenbar Säkularität die rein innerweltliche, sozusagen ›rationale‹ Begründung von Verfassung und Recht – im Gegensatz zu jeder transzendenten, fundamentalen oder religiösen Rechtfertigung weltlicher Ordnung. Grundlage ist eine Begründung des Rechts, wie sie seit dem rationalen Naturrecht ohne Rücksicht auf das göttliche Recht geschieht, also Recht konstruiert, als ob es Gott nicht gäbe, »etsi Deus non daretur«.4 Daraus folgt in der westlich-christlichen Tradition Europas auch ein Vorrang des rationalen Naturrechts gegenüber dem göttlichen Recht.5 Dabei wird zunächst von Naturrecht schlechthin gesprochen; die Unterscheidung eines rationalen von einem anderen Naturrecht scheint jünger. Es findet zugleich die Methode Eingang, Recht more geometrico, in diesem Sinne rational zu konstruieren.6 Dieses rationale Recht schafft jedenfalls Stabilität und Dauer dank eines Gleichgewichts, sei es nach innen im Wege der Teilung der Gewalten, sei es nach außen dank des Gleichgewichts der Mächte als tragender Struktur unter Staaten – nicht zur höheren Ehre Gottes und der Christenheit, sondern um eines weltlich-säkularen Friedens willen. Der Staat kann alsdann Religionsparteien derselben oder verschiedener Religionen unter seinem Dach zusammenhalten und sich dank seiner rational-säkularen Ausrichtung schließlich auch selber tragen.7 Zunächst ist der weltlich-säkulare Frieden völkerrechtlich legitimiert, typischerweise aber in einem Instrument, das zugleich reichsverfassungsrechtlichen Charakter hat, also auch nach innen wirkt, wie dies beim Westfälischen Frieden der Fall war.8 Dabei hat allerdings dieser Frieden solche Vorstellungen nicht in die territorial-staatliche Welt transportiert, sondern dort das ›cuius regio, eius religio‹ etabliert, so dass gerade in Deutschland eine innere und territorial ausgerichtete Säkularität sich kaum entwickeln konnte. Später aber entstand und verwirklichte sich dieses Konzept vor allem dort, wo unvermeidlich die rechtliche Akzeptanz fremder Religionen angesagt war, wollte man Fuß fassen und präsent bleiben, wie etwa in Indien zunächst die britischen Kaufleute, danach aber auch die britische Herrschaft. Hier musste die öffentliche Ordnung säkular sein, sollte sie bestehen können. So war etwa schon zur Zeit der ostindischen Kompanie der Ämterzugang nicht abhängig von einer bestimmten religiösen Zugehörigkeit.9 Nach der Unabhängigkeit entstand in Indien aus dieser säkularen Ordnung eine noch heute gültige säkulare Verfassung.10 Die Verfassung ergibt, dass Religionen diese säkularen Ordnungen nicht beeinflussen sollen. Anders als die Varianten der türkischen und französischen Laizität verdrängt ›Säkularität‹ hier aber die Religionen nicht aus dem öffentlichen Raum, sie sucht sie vielmehr im öffentlichen Raum gleichzustellen. Ein entsprechender Grundsatz der Säkularität mag dann auch Grundlage einer gemeinsamen öffentlichen Plattform werden – ganz anders als unter einem Laizismus, dessen Grundsätze Religionen schlechthin oder teilweise aus dem öffentlichen Raum drängen. Abweichend davon – gewissermaßen in der politischen Praxis in einem Zwischenschritt verharrend – scheint ein Gemeinwesen vorzugehen, das sich – wie Deutschland 1871 – föderal organisiert und sich zugleich noch auf die Konfessionen einer Religion bezieht, die auch dominant blieb, als Fragen der Säkularität sich zuerst stellten. Hier suchte die Zivilgesellschaft, deren Föderation notwendig auf dem Weg zur Säkularität war, in Vorformen einer säkularen Verfasstheit die in ihr vorfindlichen und später hinzukommenden Religionen und Weltanschauungen geradezu in einen Ausgleich zu führen. Politisch ergab sich daraus so etwas wie eine Konsenspraxis einer – im eidgenössisch-schweizerischen Sinne – »Konkordanz«11 jenseits gelegentlich aufkommender Instrumentalisierungen und der aus ihnen hervorgehenden Scharmützel oder – wesentlich schlimmer – der auf den ersten Blick säkularen Kreuzzüge gegen angebliche auswärtige Feinde oder vermeintliche fünfte Kolonnen. Dabei kann ›Konkordanz‹ hier meinen, gewisse Grundwerte zu teilen12 oder – vielleicht treffender – Werte gewisser Verfahren einer eingespielten Praxis der Beteiligung aller anzusprechen. Vielleicht entspricht ›Konkordanz‹ sogar in einem inneren, nicht offen gelegten Kern dem Versuch Indonesiens, eine sozusagen zivile Religion aus einem gemeinsamen Nenner der tradierten und im Zeitpunkt der Unabhängigkeit gegenwärtigen Religionen zu schaffen und mit Hilfe der Verfassung im Sinne von ›unity in diversity‹ zu etablieren.13
Verschiedene Grade und Varianten an Säkularität von Verfassungen spiegeln sich in deren Ausgestaltungen.14 So wird teils – wie in Deutschland nach Art. 140 Grundgesetz (GG) gemäß Art. 137 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV) – schlicht gesagt, dass keine Staatskirche bestehe – neben den ebenso bedeutsamen Garantien der Religionsfreiheit. Teilweise findet Säkularität einen grundsätzlichen Niederschlag in Formulierungen rechtsverbindlich gewordener Präambeln, wie in Indien. Oder man stößt auf sie in Postulaten von Laizität an ähnlich hervorgehobener und schlechthin verbindlicher Stelle, wie in den Verfassungen Frankreichs oder der Türkei. Auch die rechtlichen Schlussfolgerungen im Vollzug solcher normativen Aussagen sind unterschiedlich.
Gemeinsam ist ihnen aber die Intention, die verfassungsgemäße Ord- nung – also die gesamte Rechtsordnung und das öffentliche Leben – auf eine weltliche Grundlage zu stellen. Zugleich suchen die Verfassungen seit 1945 oft eine Grundstruktur solcher Ordnungen zu formulieren, manchmal als freiheitliche demokratische Grundordnung (Deutschland) oder als ›basic structure‹ (Indien) bezeichnet, oder sie benennen eine Reihe von unumstößlichen Grundprinzipien, wie in diesen beiden in der Nachkriegszeit entstandenen Republiken. Zwar soll damit nicht eine zivile Religion indiziert sein, aber den demokratischen Prozess, dessen Politikverständnis letztlich ohne Fundamentalaussagen auskommen muss und kann,15 findet man doch in ein gewisses rechtsstaatliches Gehege gestellt. In dieses Gehege sind zugleich alle Freiheitsgarantien nach Maßgabe der ihnen angefügten konkreten Schranken eingebunden, die solche Verfassungen gewähren. Dies gilt, soweit aus der intellektuell, spirituell oder wie immer gestalteten Inanspruchnahme dieser Garantien Handlungen erwachsen, die als solche rechtlich fassbar sind und Sanktionen ausgesetzt sein können, welche ihrerseits aber nicht in den eigensten Bereich menschlicher Freiheit, nämlich die Geistes-, Gedanken- und Gewissens- oder Glaubensfreiheit in ihrem inneren Feld des bloßen Dafürhaltens eingreifen dürfen. Diesen Rechtsraum, zumindest das forum internum, respektiert jede säkulare Verfassung ebenso wie elementare Manifestationen auf der Ebene des forum externum, die Dritte in keiner Weise beeinträchtigen, wie etwa Bekenntnis oder Beitritt zu oder Austritt aus einer Religionsgemeinschaft.16
I. Religiosität, säkulare Herrschaft und Religionsfreiheit
Religiosität und Religion werden im säkularen Verfassungsstaat nicht geleugnet. Die säkulare Herrschaft räumt ihnen Raum ein. Alles andere bedeutete, dass dieser Verfassungsstaat beanspruchte, in transzendente Räume zu expandieren. Auch würde damit verbindliche Herrschaft in der Gesellschaft, dem Bereich des Sozialen, darüber hinaus aber auch des Privaten beansprucht. Im Extremfall würde die Herrschaft damit totalitär, nämlich von dem Versuch geprägt, alle Lebensbereiche und jede Sinndeutung kraft eines radikalen Ausschließlichkeitsanspruchs zu prägen.
Die säkulare Herrschaft des Verfassungsstaates geht hingegen den anderen Weg, sich auf innerweltliche Handlungen und Verhaltensweisen zu beschränken. So bleibt das Leben der Gesellschaft offen für die Vielfalt seiner Regungen; es wird nicht versucht, zu beherrschen, was nicht zu beherrschen ist. Auch werden Wahrheitsansprüche – jenseits der elementaren Struktur der verfassungsmäßigen Ordnung und eines Bekenntnisses zu den ihr zugrunde liegenden Annahmen – nicht erhoben. Zusammengefasst für jeweils konkrete Lebensbereiche manifestieren die Freiheitsrechte diese Bescheidung der Herrschaft auf das, was ihr zugänglich und mit ihren Mitteln erreichbar ist. An erster Stelle stehen hier die Garantien der Religionsfreiheit, wenn nicht historisch, so doch wohl systematisch jedenfalls dann, wenn man in ihre Bereiche den Schutz säkularer Formen höchstpersönlicher Verhaltensweisen und Entäußerungen von der Geistes- bis zur Gewissensfreiheit einbezieht.
Seelische Dispositionen und Befindlichkeiten, Religiosität, Reflexion und Empfinden, gemessen an den feinen Maßstäben des eigenen Wissens und Gewissens, sind dabei der Ausgangspunkt, an den die rechtliche Freiheitsgewähr anknüpft. Sie lösen soziales Verhalten aus, das sich fortgesetzt in Bewegung befindet und damit – weltlich gesprochen – die Moralität einer Gesellschaft prägt. Als eine Variante tritt dabei religiöse Kommunikation und Selbstorganisation auf den Plan. Sie setzt kollektive Formen jener elementaren Freiheitsgarantien voraus, bleibt aber bezogen auf die individuellen Garantien der eben umschriebenen personalen Freiheiten des Einzelnen.
II. Religiosität, freie Entfaltung und uneingeschränkte Publizität
Säkularität kann der Religionsfreiheit Grenzen setzen. Dies gilt besonders dann, wenn aus ihr im Sinne einer Laizität die Verbannung der Religion aus dem öffentlichen Raum abgeleitet wird. Dieser Schluss ist aber nicht zwingend. Ebenso kann eine Deutung der Säkularität auch ergeben, dass öffentlicher Raum ganz unterschiedlichen Religionen gleichermaßen gewährt ist. Säkularität wird dann zum Garanten der erforderlichen Neutralität und uneingeschränkter Parität in Ausübung aller öffentlichen Gewalt. Schon länger kanonisiert sind das dictum, wonach das Maß der Verwirklichung der Religionsfreiheit das Maß der Verweltlichung des Staates bezeichne,17 sowie das andere, dass die Säkularisierung der Staatsgewalt und die positive wie negative Freiheit der Religionsausübung zwei Seiten derselben Medaille seien.18 Konsequenzen für die Säkularität als Strukturprinzip ergeben sich aus diesen dicta nicht. Eine Zuordnung von Säkularität und Freiheitsgewähr in geforderter Publizität fehlt.19
Die Umstände der Anerkennung der Religionsfreiheit haben zwar vielleicht nicht an erster Stelle die Konstituierung eines öffentlichen Raumes ergeben. Zwar ist sicher, dass nur der Buchdruck die rasche Verbreitung der Bibelübersetzung Martin Luthers sicherstellen konnte.20 Es mochten aber die Erfahrungen des Buchdrucks und der Umwälzungen in den ersten Revolutionen eine erhebliche Rolle spielen; so kam es etwa in der ersten, der englischen Revolution Mitte des 17. Jahrhunderts und in der amerikanischen Revolution des späten 18. Jahrhunderts jeweils zu einer Konstituierung eines öffentlichen Raumes der freien politischen und geistigen Auseinandersetzung,21 die als geschichtliche Erfahrung der freien Presse nicht mehr zu tilgen war. Die Freiheit der Auseinandersetzung bezog indes in der ersten englischen Revolution auch und oft zuerst kirchenpolitische Auseinandersetzungen ein, so dass insoweit nicht nur säkulare Erfahrungen vorlagen. Es ging um Klärungen des Verhältnisses von Kirche und Staat. In England haben dann die Bekräftigung der Staatskirche und die Durchsetzung einer gewissen Kontrolle des religiösen Buchmarktes – bei aller Toleranz gegenüber den Freikirchen im Laufe der Jahre – das Bewusstsein von diesen Vorgängen verblassen lassen. Das galt auch in den vom Landeskirchentum geprägten deutschen Territorien.
Die Herstellung des öffentlichen Raumes der Religionsausübung in einem freien Gemeinwesen war daher eine besondere Leistung der Nachkriegszeit. Damit verband sich die Verallgemeinerung dieser Erfahrung in einer neuen Sicht der Reichweite der Religionsfreiheit und der Rolle von Kirchen als nicht-gouvernementalen Organisationen (NGOs) – innerstaatlich wie international.22 Es entstand ein Bewusstsein dafür, dass nur die freie öffentliche, gottesdienstliche wie diakonisch-karitative Ausübung der Religion bis hin zur politischen Diakonie und Fürsorge die volle Reichweite der Religionsfreiheit ausschöpft. Dies ergab die uneingeschränkte Publizität der Religionsfreiheit, ohne dass ihr darum ihr innerer Kern im forum internum und der mit diesem verbundenen internen, im Verband freien Willensbildung genommen werden könnte. Diese Publizität kann indes auch nicht in den historischen Rollen des jeweiligen Kirchenverbandes stehen bleiben.
III. Religionsgesellschaften, Egalität und Parität sowie Diskriminierungsverbote
Daher sind Kirchen eben nicht mehr als solche zu betrachten, sondern als ›Religionsgesellschaften‹, wie dies schon der Verfassungsentwurf der Paulskirche sprachlich kenntlich machte. Sie sind als Verbände aus Sicht des staatlichen Rechts in ihrem Verhältnis zum Staat, in der Öffentlichkeit, aber auch untereinander – wo Rechte anderer durch die eigene Rechtsausübung nicht geschmälert werden dürfen – gleichzustellen. Auch rechtlich sind gestufte Paritäten, die etwa die historischen Staats- oder Landeskirchen privilegieren, nicht zu halten. Gewiss: Zwar schützt das Recht die historisch stärkere Stellung solcher Kirchen, indem es ihren Besitzstand in rechtsstaatlicher Weise gewährleistet. Der Staat ist aber gehalten, diese Sonderstellung im Vergleich zu anderen, nicht privilegierten gleichartigen Verbänden zunehmend auszugleichen. Dies ermöglicht ein egalitäres Religionsverfassungsrecht, das mehr und mehr aus dem traditionellen deutschen Staatskirchenrecht hervorgeht.23 Dafür sorgen auch die zunehmend wirksamen Diskriminierungsverbote des Verfassungs-, des Europa- und des Völkerrechts. Sie werden von den Gerichten in größerer Strenge als bisher durchgesetzt.
Dabei hat die europäische Ebene zwei Entwicklungen vollzogen, die sich gegenseitig ergänzen: Einerseits hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die Religionsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 EMRK24 in ständiger Rechtsprechung so ausgelegt, dass mit ihr auch Selbstständigkeit, Rechtspersönlichkeit und Eigensphäre der Religionsgemeinschaften gewährleistet sind.25 Dank dieser Rechtsprechung ist es auf Dauer geboten, religiösen Verbänden ihre Basis und ihren Fortbestand durch Vorhalten entsprechender Rechtsinstitute im nationalen Recht zu sichern. Andererseits hat der Vertrag von Lissabon im Einklang mit den nationalen Verfassungsordnungen zwar auf einen Gottesbezug verzichtet,26 aber zugleich die Eigenständigkeit der Kirchen und sonstigen religiösen oder weltanschaulichen Verbände anerkannt und ihnen eine angemessene Rolle im Dialog der Zivilgesellschaft mit der Europäischen Union durch Art. 17 Abs. 2 und 3 AEUV27 nicht nur gewährleistet, sondern diese auch gestärkt.28 Damit besteht auch auf dieser Ebene jener öffentliche Raum, der aus der Religionsfreiheit entspringt und in der politischen Willensbildung eine angemessene Rolle religiös-weltanschaulicher Verbände ermöglicht.
Versagt die politische Willensbildung auf der Suche nach dem gemeinsamen Interesse aller jenseits der Gruppen und Verbände, so ist der Rekurs auf ›das Volk‹ nicht ausgeschlossen. Das Volk ist die letzte Autorität für die Gesamtheit, deren nicht gerade glücklichen, aber regulären Akteure die politische Willensbildung zunächst wahrgenommen haben mögen. Dabei kann allerdings das ›Volk‹ die politische Willensbildung nicht etwa deshalb an sich ziehen, weil es selbst eine transzendentale oder ethnische Legitimation besitzt,29 sondern weil es – wie der appeal to heaven im Falle des Widerstands des Einzelnen30 – Herr des sozusagen letzten Verfahrens ist, hinter das nicht zurückgegangen werden kann. Versagt es, so gibt es jenseits dieses Souveräns keine weitere Legitimation. »Wir sind das Volk«31 ist daher auch eben nicht das Signalwort eines ethnischen, religiösen oder sonst identitären Subjekts, sondern eines letzten Verfahrens der politischen Willensbildung. ›Volk‹ konstituiert sich dabei allein aus dem gemeinsamen Willen und dessen erreichter gemeinsamer Kultur der Entscheidungsfindung, es wird so säkulares Subjekt einer Erfahrung eines solchen Willens jenseits des Partikularen.
IV. Säkularität, pluralistische Vielfalt und Diskriminierungsverbote
Die Säkularität der Verfassungen und des jeweiligen Rechts ermöglicht religiös-weltanschaulichen Verbänden die zuvor erwähnte besondere Stellung im Sinne eines allgemeinen Religionsverfassungs- und Verbandsrechts. Säkularität sichert gegen das Missverständnis einer Parteinahme für einen dieser Verbände. Sie kann das leisten, weil sie von strenger Parität gegenüber allen Verbänden ausgeht. Die Diskriminierungsverbote stützen diese Strukturen ab. Zugleich ist der Säkularität gleiche Distanz zu Religion, Weltanschauung, Ideologie und Doktrinen jeder Art möglich; sie erlaubt, unterschiedslos zu handeln. Eine Verfälschung des politischen Willens, wie sie in der französischen Tradition der Egalität befürchtet wurde, bleibt aus, weil das Gemeinwesen gehalten ist, sich keine der Positionen der Verbände zu eigen zu machen oder eine auch nur zu bevorzugen.
Damit wird ein pluralistisches Konzept von Gesellschaft und Gemeinwesen möglich, das Egalität nicht herstellt durch eine tabula rasa, was intermediäre Mächte angeht, sondern pluralistische Vielfalt in der Gesellschaft voraussetzt. Das Gemeinwesen stabilisiert sich zwar aus den Verbänden heraus und hat an ihrer sozialen und politischen Erfahrung im Wege eines Dialogs teil, bildet aber seinen eigenen politischen Willen unabhängig davon und nur vor diesem Hintergrund, nicht aber als Teil jener Vielfalt. Die Verbände agieren zwar einzeln im Wettbewerb um den Einfluss auf den politischen Prozess, sie ersetzen indes das Politische und die politische Entscheidung nicht. In diesem Sinne ist die pluralistische Demokratie auf Meinungsvielfalt angelegt,32 ohne allerdings über eigene Maßstäbe jenseits dieses Wettbewerbs zu entscheiden. Der Pluralismus, der Wettbewerb ermöglicht, zieht nach sich, dass es keine gemeinsamen Regeln über diejenigen hinaus gibt, die der Wettbewerb als solcher erfordert. Dass es Wettbewerbsregeln gibt, zeigt vielmehr den Horizont an, in dessen Umriss weitere normative Rahmenbedingungen gezeichnet sind, die ermöglichen, Gemeinsamkeiten jenseits von Wettbewerbskämpfen zu finden.
V. Säkularität, soziale Macht und ›Neutralität‹ der Verfassung
Säkularität ermöglicht eine unterschiedslose Behandlung sozialer Macht, welches weltanschaulich-religiöse oder ideologische Gewand sie sich auch geben mag. Darin liegt der Grund der Redeweise von der so genannten »Nichtidentifikation des Staates«33 und der ›Neutralität‹ der Verfassung34 im Verhältnis zu sozialen Erscheinungen und zum Einzelnen. Dabei wurzeln Nichtidentifikation und Neutralität gerade im personalen Kern der Garantie der Religionsfreiheit des Einzelnen. Von dort aus können sie nicht nur die gleiche Distanz gegenüber Einzelnen und gegenüber Verbänden entfalten, sondern auch den Einzelnen gegen soziale Macht in Schutz nehmen. Grundrechtsdogmatisch wird von daher die individuelle Freiheit zum Ausgangspunkt von Schutzpflichten, die den Rechten des Einzelnen, die an sich nur gegen die öffentliche Gewalt gerichtet sind, auch Wirksamkeit gegenüber sozialer Macht verschaffen.35
Zwar ist in jüngerer Zeit in Frage gestellt worden, ob der ›Staat‹ überhaupt ›neutral‹ sein kann.36 Indessen sind solche Begriffe des Verfassungsrechts regulativ zu verstehen, sie drücken mithin nicht einen Zustand, sondern eine normative Verpflichtung aus, selbst wenn diese nie vollends erfüllt werden kann. So wird es nie möglich sein, soziale Macht, die stets neu entsteht, sich steigert und entfaltet, mit Mitteln des Rechts völlig zu bändigen. Auch würde dies, wollte man es präventiv angehen und im Kern ausschließen, wiederum zu einer totalitären Durchdringung der Gesellschaft führen. Aber in den Grenzen des Möglichen und bezogen auf den personal-elementaren Gehalt individueller Freiheitsgarantien erwachsen aus diesen Garantien jene Schutzpflichten, die entsprechenden Vorkehrungen – vom Kontrahierungszwang bis zur Bevorzugung, um nur zwei Instrumente zu nennen – zu treffen.
Gegenüber Religions- wie Weltanschauungsverbänden kann dies trotz ihrer bisher anerkannten Privilegierung als Tendenzbetriebe in Grenzen auch bedeuten, dass sie die Anforderungen an die Identifikation mit ihren Zielen an ihr Personal oder die Nutzer ihrer Einrichtungen abstufen müssen, um wenigstens elementarste Formen der Rechtsausübung und einen darauf bezogenen Diskriminierungsschutz zu ermöglichen. Insoweit muss das Gemeinwesen aus jenen Schutzpflichten heraus auch dem Vorhalt, seine ›Neutralität‹ zu gefährden, standhalten und die Rechtsausübung dem Einzelnen ermög- lichen.37
VI. Säkularität als gemeinsame politische Plattform der Religionsgesellschaften
Die Durchsetzung der Säkularität der Rechtsordnung und ihrer Mindeststandards, wie sie zugunsten des Einzelnen und gegenüber Verbänden gelten, zeigt auch etwas anderes: Die säkularen Mindeststandards – also etwa die konventions- und die unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote in Europa – bilden zugleich die Grundlage einer gemeinsamen säkularen Plattform all dieser Verbände, die sie als Elemente der weltlichen Ordnung hinnehmen müssen, wollen sie im Verbund des Gemeinwesens verbleiben, selbst wenn sie diesen Willen nicht ausdrücklich bekunden, sondern nur durch die fortgesetzte Präsenz in diesem Gemeinwesen manifestieren. Damit erkennen weltanschaulich-religiöse Verbände an, dass es einer solchen Ordnung bedarf, dass deren zentrale Elemente notwendig sind und sie eine gemeinsame Basis ergeben, von der aus man miteinander umgehen kann. Dies gilt unbeschadet der Randgruppen, die sich diesem Weg verschließen und dann zu leiden haben.
Dabei sollten säkulare Elemente keineswegs missverstanden werden als etwas, was keinem Wandel unterliegt. Jede interkulturelle Begründung des Rechts weiß davon, dass ganz unterschiedliche Grundlagen dennoch zu elementaren Gemeinsamkeiten führen können.38 Ebenso ist innerhalb einer kulturellen Tradition und ihrer in sich beschränkten Vielfalt möglich, dass der Grundkonsens über solche Elemente sich wandelt, diese in Teilen modifiziert und so zu neuen Konfigurationen führt. Das gilt selbst insoweit, als die Stellung des Einzelnen davon betroffen wird. Denn auch das Selbstverständnis des Einzelnen ist nicht frei von Wandlungen dieser Art, sei es in der individuellen Biographie, sei es in Fragen des gemeinsamen Mindeststandards individueller Selbstverwirklichung im Netz sozialer Beziehungen und des gesellschaftlichen Lebens. Dass allerdings gerade Weltanschauungsverbände in diesem Zusammenhang stabilisierende Wirkungen hervorbringen, ist unverkennbar. Indes können solche retardierenden Effekte die Stabilität der sozialen Prozesse fördern und so den Wandel erträglich und in der ihm eigenen Langsamkeit dem Einzelnen zumutbar machen.
Auf der anderen Seite verwehren diese gemeinsamen Standards diesen Verbänden, sich Veränderungen gänzlich zu verschließen, die gerade Einzelne in ihnen und gemeinsam mit anderen von außerhalb einfordern. Weltanschauliche Provenienzen können also, erkennen sie jene rechtlichen Mindeststandards an, schwerlich Effekte einer totalitären Erstarrung mit sich bringen, die jeden Wandel unterbinden. Daher ist diesen Verbänden auch der Weg versperrt, die gemeinsame Plattform zu verlassen, um eine Welt ihrer Eigenheit und ihrer Dogmen zu etablieren, aus der auszutreten dem Einzelnen letztlich unmöglich gemacht werden könnte. Diese Distanz der Verbände gegenüber der eigenen Identität und des Einzelnen gegenüber seiner Einbindung in eine transzendentale oder fundamentale Welt muss gewahrt bleiben, um die gemeinsame Basis jener Standards für das Gemeinwesen, in dem beide leben, weiterhin fruchtbar werden zu lassen.
VII. Säkularität und Selbstbegrenzung als Garanten des religiösen Friedens und der ›Politik‹
Letztlich garantiert so die Säkularität des Rechts den religiösen Frieden und damit die Politik im strengeren Sinne des Wortes. Dabei meint Frieden die innere Stabilität, die weltanschaulich-religiöse oder ideologische Konflikte beherrschbar macht, und ›Politik‹ jene Fertigkeit, über den eigenen Tellerrand hinaus das Gemeinsame zu finden, das trägt, aber immer auch mit einem gewissen Maß an »Selbstentfremdung«39 einhergeht, weil man den eigenen Fundamentalnormen ihre Normativität und ihren Rang so weit nehmen muss, wie es erforderlich ist, um jene Gemeinsamkeit zu erreichen und zu wahren. Darin liegt zugleich eine Verletzung der durch diese Normen aufgestellten Gebote, die aber um des Friedens und seiner Stabilität willen von der säkularen Ordnung des Rechts vorausgesetzt werden muss, sollen ihre Ziele Bestand haben.
Zu geringsten Teilen sichert der Staat diese Maßstäbe durch strafrechtliche Sanktionen ab. Viel fundamentaler ist die Wirkung der von der Verfassung garantierten Gegenseitigkeit der Ausübung der jeweiligen Freiheitsgewährleistungen. Das findet manchmal auch deutlichen Ausdruck, so wenn das Grundgesetz in Art. 4 Abs. 2 GG die ungestörte Religionsausübung gewährleistet. Die Bestimmung dessen, was Religionsausübung ausmacht, erfordert eine Wahrnehmung in einer Perspektive von außen, wenn es um störungsfreie Ausübung auch durch andere geht. Das führt zur Rücksicht auf andere. Daher formuliert Hans D. Jarass, dass sich die gegenseitige Toleranz als rechtliche Schranke der Religions- und Weltanschauungsfreiheit verstehe.40 Mit Religionsausübung ist dabei zudem sehr viel mehr gemeint als die störungsfreie Durchführung von Gottesdiensten.41 Gemeint ist vielmehr auch jene rechtsbestimmte Gegenseitigkeit der Rechtswahrnehmung, die in einem viel umfassenderen Sinne erst ermöglicht, Rechte auch in der Rolle als Einzelner dauerhaft auszuüben. Dies ist in der Theorie der Freiheitsrechte erkannt42 und in der Rechtspraxis fruchtbar gemacht43 worden, wird aber dennoch immer wieder übersehen. Rechte sind nicht monadische Gewährungen zugunsten eines insofern asozialen Individuums, sie sind vielmehr Folge gemeinsamer Anstrengungen, sie zu ermöglichen, setzen also immer Zusammenwirken, Rücksichtnahme, soziales Verhalten, Kommunikation und soziale Erfahrung voraus. Lange zurück hat dies Dieter Suhr entwickelt, zunächst am Eigentumsbegriff, dann an der Entfaltung des Menschen durch den Menschen. Dieser Ansatz ist im Rahmen der Lehre von der Ausgestaltung der Grundrechte fortentwickelt worden,44 während ursprünglich schon praktische Beispiele, etwa zur Zwangsversteigerung oder zum Rauchen, zu finden sind.45 Dabei zeigt sich, dass die soziale Disposition des Menschen ihm seine Entwicklung ermöglicht, zumal wenn er in kommunikativ-kognitivem Austausch steht und dadurch lernt. Das ermöglicht auch die Anerkennung von Recht und Rechten, von angemessenen Verfahren und ihren fundamentalen Regeln. Nicht von Ungefähr erreicht die Ausübung der Religionsfreiheit daher erst ihre Vollendung, wenn mehrere zusammen sind, die ihrer Religion folgen. Insofern erlauben Rechte auch nicht, isolierte Normensysteme einzurichten und ›nach außen‹ durchzusetzen; sie erfordern vielmehr um ihres eigenen Fortbestandes willen fortgesetzte Interaktion. Sie ermöglicht, über den eigenen Schatten zu springen, die eigenen Normen in Frage zu stellen, sie in ihrer Reichweite zu beschneiden und so die gemeinsame Plattform des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen zu erhalten. Diese Interaktion erfordert mithin auch Rücksichtnahme auf andere. Religionen können sie durch Selbstbegrenzung ermöglichen, wie dies vor Kurzem genannt wurde.46 Sie ist es auch, die heute jeden Zwang zum Glauben ausschließt. Sie ermöglicht zudem, in religiösem Frieden mit anderen zu leben und dadurch Allmachtsfantasien des eigenen Glaubens zu entgehen. Zugleich verleiht sie der Religion eine weitere politische Dimension. Diese Dimension liegt in der Selbstreflexion, die eine weitere Ebene des Handelns jenseits gegenseitiger Ausgrenzung erschließt. Damit sind auf dieser weiteren Ebene pragmatische Verständigungen zu erreichen, die verstetigt werden können. Sie gestatten es, an der Erzeugung eines politischen Konsenses teilzuhaben, indem man Distanz zum eigenen inneren Horizont gewinnt.
VIII. Das Politische oder die Religion und die Religionen
Das ›Politische‹ führt mithin zu einer notwendigen Distanz gegenüber dem eigenen ›Lager‹ oder – tiefer – dem eigenen Bekenntnisstand, die man einnehmen muss, um zusammenzuleben. Diese Erkenntnis ergibt die erforderlichen Verfahren der Verständigung, der Findung einer gemeinsamen Plattform, einer dafür erforderlichen praktischen Konkordanz, eines so definierten Konsenses und damit einer gemeinsamen Handlungsebene sowie die Notwendigkeit, etwas von dem preiszugeben, für das man eigentlich steht. Dieses Phänomen ist historisch verbunden mit der Erinnerung an die Entstehung der sozialen Formation der ›politiques‹ in den französischen Religionskriegen, denen bekanntlich Paris jenseits der Interessen eines konkreten Thronprätendenten eine Messe wert sein musste, wollten sie die Einheit des Landes – und mithin der späteren Nation und schließlich der säkularen Republik – retten.47 Es spiegelt sich auch in der Konsoziation als Figur der Vergemeinschaftung in der republikanischen Theorie der Zeit.48 Heute findet man diesen Traditionsstrang republikanischen Denkens in der politischen Praxis der Schweiz. Entwickelt hat KonradHesse nicht zufällig seine Figur der »praktischen Konkordanz« einerseits in der Tradition des Seminars von Rudolf Smend, seinem herkünftig schweizerischen akademischen Lehrer, und anderseits im Anschluss an Richard Bäumlin, dem eidgenössischen Verfassungsrechtler, der diese Figur aus der Geschichte der protestantischen Kirchen aufgegriffen hat.49 Und man stößt darauf viel früher in der Tradition der Aufklärung, religiös abgebildet in der Erfahrung von Lessings Nathan, der angesichts äußerlich gleicher Ringe die Wahrheit in allen drei Schriftreligionen sieht und sie schon deshalb vom Fluch der gegenseitigen Missachtung befreit. Er stellt sozusagen die Einheit der Wahrheit als höhere Weisheit der Religion den Religionen gegenüber, die jeweils einen Teil dieser Weisheit repräsentieren. So entsteht eine Einheit der Religion als höhere Religion gegenüber der Vielfalt ihrer Stimmen in den partikularen Religionen. Dies mag von letzteren zurückgewiesen werden, es ist jedoch ein Verfahren, auf das man nicht nur in Auseinandersetzungen mit Religionen stößt, will man zu einem Zusammenleben finden.50 Vielleicht ist es kein Zufall, dass auch bei Mahatma Ghandi in der Zeit des indischen Freiheitskampfes und der jungen Republik die Unterscheidung zwischen Religion als Grundlage politischen Handelns und den Religionen als Basis von Religionsparteiungen im Land anzutreffen ist.51 Einer seiner Interpreten hat ihn insoweit mit Martin Luther verglichen und dessen Unterstellung der Reformation unter den Schutz der Territorialfürsten des damaligen deutschen Reiches in ähnlicher Weise als eine politische Entscheidung verstanden, bei ihm gefasst in Kategorien von Max Weber.52 Das Politische einer Verhaltensweise, die eine solche Distanz aufscheinen lässt, liegt darin, dass die Gräben der eigenen Fundamentalismen verlassen werden; zudem erfordert sie, neue Fundamentalismen zu meiden. Beides geschieht um des Friedens willen, der der Stabilität gewisser gegenseitiger Verbürgungen bedarf, soll er dauerhaft sein. Diese Verbürgungen setzen voraus, dass die Beteiligten den Rekurs auf die dadurch gefundene Gemeinsamkeit stets neu auszuhandeln bereit sind. Sie können dadurch die erforderliche Beweglichkeit der Konsensfindung erbringen. Deshalb ist ihnen auch fremd, den jeweils erreichten Konsens etwa in neue Fundamentalismen zu übersetzen, die – dogmatisiert – zu neuen Versteinerungen führen und spätere Konsoziationen behindern können.
Solche Vorgänge können die Brüderlichkeit der Republik in gegenseitiger Rücksichtnahme gewährleisten, die sie auf ihre Fahnen geschrieben haben mag. Die Brüderlichkeit ergibt sich dabei aus der Mühe um die gemeinsame Sache, an erster Stelle den inneren Frieden und alsdann weitere politische Agenden. Sie können selbst zur Brüderlichkeit von Religionen finden. Dabei scheint mir diese Brüderlichkeit über den öffentlichen Diskurs hinauszugehen, der im Anschluss an Jürgen Habermas den Religionen anzutragen ist, aber besser zu verstehen ist als Dialog spezifischer Art.53 Denn die Konsoziation um solcher elementarer und weiterer Agenden willen erfordert eben auch die Anstrengung der Annäherung an die elementare ›Gesinnungslosigkeit‹ politischen Handelns. Ob das mit der Unterscheidung von Gesinnungs- und Handlungsethik im Sinne von Max Weber erfasst wäre, mag dahinstehen.54 Jedenfalls erinnert es an die Duplizität der Rollen, die sich klassisch in der monarchischen Tradition darin ausdrückt, dass der König niemals stirbt. Dies besagt, dass der individuell gelebte Wille des Königs – vice versa des jeweiligen einzelnen Beteiligten an einem Konsoziationsverfahren – immer durch jenen höheren Willen karikiert wird, der ihn als Repräsentanten des gemeinen Wesens unsterblich macht.55 Säkular symbolisiert dieses gemeine Wesen die – noch nicht demokratische – ›Republik‹. Das Politische ist Signalwort für jene unendliche Bemühung um die Möglichkeit gemeinsamen Lebens, die es den Menschen erlaubt, als Individuen zu leben und dies in ihren Grundanschauungen und Bekenntnissen zu manifestieren. Bei John Rawls erzeugt ein ›overlapping consensus‹ die gemeinsame Grundlage gegenseitigen gleichen Respekts, der einen Sinn für das Politische erfordert.56
Die Säkularität der Verfassung – verstanden als Grundsatz – ist so ein weiteres Signalwort, das konfiguriert, welche Rahmenbedingungen das Recht und die Rechtsausübung voraussetzen, um die Glaubwürdigkeit des politischen Gemeinwesens sicherzustellen. D. h., Säkularität erscheint als eine Abbreviatur für die Bedingungen gleicher Freiheit in gegenseitiger Achtung der ›Lager‹ und Bekenntnisstände ganz unterschiedlicher Religionen; eine Achtung, die hier als Brüderlichkeit bezeichnet wurde. Freiheit, Egalität und Brüderlichkeit binden zusammen, was sich nur um der politischen Notwendigkeiten willen verbindet. Der Preis liegt allerdings in der Aufgabe der Ausschließlichkeiten, die man einander weltanschaulich, religiös, sozial oder auf andere Weise entgegenzuhalten geneigt wäre.
- 1Zur Unvergänglichkeit Ernst H. Kantorowicz,The King’s Two Bodies. A Study in Medieval Political Theology, Princeton 1957, S. 291 ff.: das Imperium ist nun auf Dauer übertragen; zur Allwissenheit Marie Theres Fögen, Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike, Frankfurt a. M. 1997; spätantike Vorgänge der polytheistischen Resakralisierung sind hier nicht Gegenstand; es bleibt aber die Trennung des weltlichen vom sakralen Bereich, vgl. Wolfgang Waldstein und J. Michael Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 10. Aufl., München 2005, § 5 Rn. 13, S. 28.
- 2Klassisch Zera S. Fink,The Classical Republicans. An Essay in the Rediscovery of a Pattern of Thought in Seventeenth Century England, Evanston 1945.
- 3Zu diesen Säkularisierungsprozessen in Deutschland und den Nachwirkungen bis heute, einerseits nach Lunéville Christoph Link,Kirchliche Rechtsgeschichte, 2. Aufl., München 2010, § 17, Ziff. 2, Rn. 3, S. 121 ff., andererseits für die inneren Vorstufen der Säkularisierung Martin Heckel, »Die Auswirkungen der Konfessionalisierung auf das Recht im Alten Reich«, in Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 96 (2010), S. 407 ff., hier S. 424 ff.; i. Ü. grundlegend ders., Vom Religionskonflikt zur Ausgleichsordnung. Der Sonderweg des deutschen Staatskirchenrechts vom Augsburger Religionsfrieden 1555 bis heute, München 2007; zu beiden Aspekten mit zahlreichen Nachweisen aus konservativ-katholischer Sicht sowie zur Relativierung des Merkmals der Säkularität, indes nicht für solche Staaten, die dem westlichen Modell des Verfassungsstaates seit langem folgen, Klaus Ferdinand Gärditz, »Säkularität und Verfassung«, in Otto Depenheuer und Christoph Grabenwarter (Hg.), Verfassungstheorie, Tübingen 2010, § 5, S. 153 ff., bes. S. 159 f., Rn. 10. Auf die mit dem berühmten, in Wahrheit – dort auf die Verfassung bezogenen – von Joseph Freiherr v. Eichendorff stammenden Diktum vom Leben des Staates verbundene Debatte (ders., »Preußen und die Konstitutionen«, in ders., Werke und Schriften, Bd. IV: Literaturhistorische Schriften, Historische Schriften, Politische Schriften, Stuttgart u. a. o. J., S. 1291 ff., 1320; ders., »Über Garantien« – 1833 –, in ebd., S. 1325 ff., 1334, 1348 u. passim) ist hier nicht einzugehen, vgl. zuletzt Ernst-Wolfgang Böckenförde, »Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation« (1967), in ders., Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert, München 2007, S. 43 ff., bes. S. 71, immer noch ohne Beleg. Allerdings enthält Bernhard Schlink, »Zwischen Säkularisation und Multikulturalität«, in Rolf Stober (Hg.), Recht und Recht, Festschrift für Gerd Roellecke, Stuttgart 1997, S. 301 ff., in Auseinandersetzung mit BVerfGE 93, 1 – Kruzifix – einen Ansatz, den dieser Beitrag sieht. Zur »Desecularization« Astrid Reuter und Hans G. Kippenberg, »Einleitung«, in dies. (Hg.), Religionskonflikte im Verfassungsstaat, Göttingen 2010, S. 11 ff., mit zahlreichen Nachweisen auch in den Beiträgen dieses Bandes.
- 4Vgl. Hugo Grotius,Vom Recht des Krieges und des Friedens (1625), Tübingen 1950, Vorrede, S. 33. S. für die theologisch-philosophische Debatte um die Formel Heimo Hofmeister, »Etsi Deus Non Daretur«, in Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Philosophie 21 (1979), S. 272 ff., auch mit Bezug auf Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, München 1970, S. 391 ff., bes. S. 393 – Brief an Eberhard Bethge vom 16.7.1944. Diese Fundstellen weisen eine ältere Herkunft aus der spanischen Scholastik nicht nach. Christian Thomasius, Vorrede [scil.: zur eben genannten Schrift des Grotius], nennt sie aber alle, vgl. (Fn. 3), S. 1 ff., bes. S. 3 und 19 ff.; für eine Einordnung des berühmten Zitats bei Grotius auch Link, Kirchliche Rechtsgeschichte (Fn. 3), § 16, Rn. 2, S. 102; die Herkunft des »Etsi Deus …« aus der spanischen Tradition (vgl. Rodrigo de Arriaga 1592–1667; zu ihm und der Geltung des Naturrechts, auch wenn es Gott nicht gäbe, eine Andeutung bei Wilhelm Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl., Baden-Baden 1988, S. 224) mag im Zusammenhang zu sehen sein mit der Überlieferung säkular-antiker hellenistisch-griechischer Wissenschaft als Grundlage der Weltdeutung neben den religiösen Deutungen, zunächst des Juden- sowie des Christentums und des Islam und nach der Reconquista vor allem des Christentums allein; zu spanischen Grundlagen der Naturrechtstheorien, unter besonderer Auseinandersetzung mit Grotius Richard Tuck, Natural Rights Theories. Their Origin and Development, Cambridge 1979; zur mit der Rationalität eröffneten Kehrseite, nämlich der Souveränität Gaines Post, »Vincentius Hispanus, ›Pro Ratione Voluntas‹ and Medieval and Early Modern Theories of Sovereignty«, in Traditio. Studies in Ancient and Medieval History, Thought and Religion XXVIII (1972), S. 159 ff.
- 5Hugo Grotius, Recht des Krieges (Fn. 4), 1. Buch, 1. Kapitel, S. 50 ff.; ähnlich bzgl. des Eigentums von Barbaren und Häretikern Franciscus de Victoria,De Indis Recenter Inventis et Jure Belli Hispanorum in Barbaros (1539), Tübingen 1952, S. 33 ff.; für den Hintergrund Quentin Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, Vol. 2: The Age of Reformation, Cambridge 1978, S. 151 ff.
- 6Vgl. dazu Charles Taylor,Ein säkulares Zeitalter (2007), Frankfurt a. M. 2009, S. 221 ff.
- 7Für letzteres mit Bezug auf Grotius siehe Georg Wilhelm Friedrich Hegel,Philosophie der Geschichte, in ders., Werke, Bd. 12, Frankfurt a. M. 1986, S. 520 ff.; weniger deutlich ders., Geschichte der Philosophie III, in ebd., Bd. 20, a. a. O. 1982, S. 224 f.; auch holzschnittartig Ernst Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt a. M. 1961, S. 59 ff.
- 8Erst mit dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 wurde im Rahmen der Umsetzung des Friedens von Lunéville und den darin angeordneten Säkularisierungen und Mediatisierungen innerhalb der Territorien Religionsfreiheit hergestellt, vgl. dazu Hermann Fürstenau,Das Grundrecht der Religionsfreiheit nach seiner geschichtlichen Entwickelung und heutigen Geltung in Deutschland, Leipzig 1891, S. 81.
- 9Vgl. Peter Wende,Das britische Empire, München 2008, S. 155 ff., für die East India Company und später; dem religionsunabhängigen Ämterzugang entsprach ein faktisches Missionsverbot in Indien jedenfalls zur Zeit der Kompanie, vgl. Jürgen G. Nagel, Abenteuer Fernhandel – Die Ostindienkompanien, Darmstadt 2007, S. 58 f.; dort S. 96 auch zur indirect rule, die zum colonial service führte; für eine Richterkarriere eines Moslems im späten 19. Jahrhundert Helmut Janssen, Die Übertragung von Rechtsvorstellungen auf fremde Kulturen am Beispiel des englischen Kolonialrechts, Tübingen 2000, S. 46 ff. u. 49 f.
- 10»Secularism« ist daher auch Verfassungsgrundsatz, etwa aufgrund der rechtlich verbindlichen Präambel der Verfassung Indiens, die seit einer Verfassungsänderung aus dem Jahre 1976 von Indien als von einer »[…]secular democratic republic« spricht, vgl. Mahendra Pal Singh, V. N. Shukla’s Constitution of India, 11. Aufl., Lucknow 2008, S. A 67 und ff.; seither und früher stößt man dort auf eine auch akademische Debatte, was »Säkularismus« sei, früher etwa die Sammelbände Rajeev Bhargava (Hg.), Secularism and its Critics, 9. Aufl., New Delhi 2010; T. N. Srinivasan (Hg.), The Future of Secularism, New Dehli u. a. 2007. Nicht erörtert werden hier allgemeine sozialwissenschaftliche Theorien der Säkularisierung oder der Säkularität, etwa seit Max Weber und heute z. B. bei Taylor, Ein säkulares Zeitalter (Fn. 6). Ob Vorformen eines rechtstheoretischen Konzepts des Säkularismus der öffentlichen Ordnung über die spanische Scholastik zurückreichen bis in das maurische Spanien, das die Schriftreligionen einander weitgehend gleichstellte, ist mir nicht bekannt, vgl. aber meine Mutmaßung am Ende von Fn. 4; heute aus deutscher staatsrechtlicher und zugleich katholisch-konservativer Sicht zur Säkularität Gärditz, Säkularität (Fn. 3), der einen Rechtspluralismus etwa im Familien- und Erbrecht für unzulässig erachtet, vgl. ebd., Rn. 24, S. 170 f., und – wie schon erwähnt – nicht-säkulare Staatlichkeit für möglich hält, vgl. ebd., Rn. 11, S. 160.
- 11Dieser Begriff entstammt der politischen Praxis der Schweiz, der bis heute eine Rolle spielt und damit die dortige »Konkordanzdemokratie« anspricht. Allerdings wird dort dieses Thema zunehmend skeptisch diskutiert, vgl. etwa Peter Bodenmann, »Kaputte Konkordanz? Alles halb so schlimm! Es fehlt an der notwendigen Autonomie des Politischen gegenüber kurzfristigen Klientel-Interessen«, inNeue Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe, Nr. 76, 31.3.2011, S. 27. Aus der Schweiz stammen auch Varianten zu diesem Begriff in der Fachliteratur, vgl. etwa Richard Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte, Zürich 1961, S. 26 ff. (mit dortiger Fn. 14, S. 58), wo er von »Konkordanzverfahren«, »concordantia disconcordantium« (Gratian), »praktischer Konsonanz« und »praktischer Konkordanz« spricht, letztere dann später bei Konrad Hesse, dessen frühe Rechtfertigung für die Herübernahme aus dem Kirchenrecht sich nach Bäumlin offenbar in einer Rezension einer kirchenrechtlichen Schrift findet, vgl. Konrad Hesse, »Rezension von Siegfried Grundmann, Der Lutherische Weltbund, Köln u. a. 1957«, in Archiv des öffentlichen Rechts 84 (1959), S. 364 ff., bes. S. 366 ff.; letztlich entlehnt sind diese Termini nicht nur dem Kirchenrecht, sondern auch der kirchlichen Dogmatik und der Theologie, wo man von »Konkordienformeln« spricht, d. h. der dort ermöglichten »concordantia oppositorum«, die sich schon bei Nikolaus von Kues im Gottesbegriff findet, vgl. Walter Schulz, Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik, 2. Aufl., Pfullingen 1959, S. 13 ff. Für jüngere verfassungsrechtsmethodische Fundstellen vgl. auch unten Fn. 45.
- 12Vgl. Adolf Ogi, »Konkordanz heißt Grundwerte teilen. Die einvernehmliche Suche nach Lösungen als Auftrag des Bundesrats und der Regierungsparteien«, inNeue Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe, Nr. 83, 8.4.2011, S. 26 – wobei dann aber interessanterweise als solche Werte gewissermaßen Haltungen auftauchen, nämlich »Einvernehmen, Zutrauen und Übereinstimmung« als tragende Elemente der Konkordanz.
- 13Zu Indonesien, das fünf, den präsenten Religionen gemeinsame Prinzipien in die Präambel seiner Verfassung aufnahm, etwa die Aufzählung bei Konrad Raiser,Religion – Macht – Politik. Auf der Suche nach einer zukunftsfähigen Weltordnung, Frankfurt a. M. 2010, S. 135 ff.; auch für die Rechtskultur dort Franz v. Benda-Beckmann, »Rechtspluralismus als Toleranzfrage«, in Christoph Enders und Michael Kahlo (Hg.), Diversität und Toleranz, Paderborn 2010, S. 109 ff.; heute aktuell sind Fragen einer säkularen Identität und der säkularen, von aller Religionszugehörigkeit unabhängigen modernen Rechtsfigur der Staatsbürgerschaft, vgl. Saskia Sassen, Das Paradox des Nationalen, Frankfurt a. M. 2006, S. 440 ff.; schließlich kann ein »common citizenship« auch nicht durch einen Religionswechsel, eine Apostasie, gefährdet sein, vgl. dazu Konrad Raiser, ebd., S. 145.
- 14Auf die Soziologie von Säkularitäten, etwa im Forschungsprojekt »Multiple Secularities« unter Leitung von Monika Wohlrab-Sahr, kann hier nicht eingegangen werden, vgl. aber ihren Vortrag vom 27.5.2011 auf dem Akademie-Kolloquium zu »Multiple Secularities – Auf dem Weg zu einer vergleichenden Kultursoziologie der Säkularität« und ihren Beitrag in diesem Heft; auch nicht auf die zugehörige Literatur, vgl. aber Frank J. Lechner, »The Case Against Secularisation. A Rebuttal«, in Social Forces 69 (1991), S. 1103 ff.
- 15Oliver Marchart,Die politische Differenz, Berlin 2010, S. 362 ff.
- 16BVerfGE 44, 37 (49 ff., 52 f.); auch BVerfGE 12, 1 (3) u. 32, 98 (106), das von einem »von staatlicher Einflussnahme freien Rechtsraum« jedenfalls zugunsten des Einzelnen spricht; vgl. auch Helmut Goerlich, »Der autonome Rechtsraum des Einzelnen«, in Michaela Wittinger u. a. (Hg.),Verfassung – Völkerrecht – Kulturgüterschutz, Festschrift für Wilfried Fiedler, Berlin 2011, S. 79 ff.; international Markus Kotzur, »Religionsfreiheit im religiös neutralen Verfassungsstaat. Ein universelles Projekt«, in Gilbert Gornig u. a. (Hg.), Iustitia et Pax, Gedächtnisschrift für Dieter Blumenwitz, Berlin 2008, S. 143 ff.
- 17Vgl. Böckenförde, Der säkularisierte Staat (Fn. 3), S. 65.
- 18Jürgen Habermas, »Einleitung«, in ders.,Zwischen Naturalismus und Religion, Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 2005, S. 9.
- 19Dazu Astrid Reuter, »Säkularität und Religionsfreiheit – ein doppeltes Dilemma«, inLeviathan 32 (2007), S. 178 ff.
- 20Zu Auflagen und Verbreitung religiöser Druckwerke damals Friedrich Wilhelm Graf,Kirchendämmerung, München 2011, S. 31 ff.
- 21Palko v. Connecticut, 307 U.S. 319, 327 (Cardozo, J., Opinion of the Court): Die freie Meinungsäußerung ist »[…] the indispensable condition of nearly every other form of freedom«, zitiert von BVerfGE 7, 198 (205) – Lüth.
- 22Dazu Raiser, Religion (Fn. 13), S. 111 ff.
- 23Dazu knapp und eindrücklich sowie ohne auf die rechtswissenschaftliche Debatte auf dem Weg zum Religionsverfassungsrecht einzugehen Hans Michael Heinig, »Religionsverfassungsrecht mit Zukunft!«, inNeue Gesellschaft – Frankfurter Hefte 4 (2011), S. 33 ff.; grundlegend für diese Debatte Christian Walter, Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive, Tübingen 2006; zu ihr Hans Michael Heinig und Christian Walter (Hg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, Tübingen 2007; zielführend sind hier nicht Änderungen des Grundgesetzes, sondern Veränderungen seiner Interpretation.
- 24Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950, i. d. F. d. Neubekanntmachung vom 17.5.2002 (BGBl. II S. 1054), in Kraft getreten am 3.9.1953 – nebst Zusatzprotokollen.
- 25Heinrich de Wall, »Von der individuellen zur korporativen Religionsfreiheit – die Rechtsprechung zu Art. 9 EMRK«, in Joachim Renzikowski (Hg.),Die EMRK im Privat-, Straf- und Öffentlichen Recht, Baden-Baden u. a. 2004, S. 237 ff.; auch exemplarisch Patrick Roger Schnabel, »Die Entwicklung der Religionsfreiheit in der Türkei im Spiegel zweier jüngerer Urteile«, in Zeitschrift für evangeliches Kirchenrecht 53 (2008), S. 187 ff.
- 26Helmut Goerlich, »Der Gottesbezug in Verfassungen«, in ders., Wolfgang Huber und Karl Lehmann (Hg.),Verfassung ohne Gottesbezug?, Leipzig 2004, S. 9 ff.
- 27AEUV, d. h. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 25.3.1957, zuletzt geändert durch den Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007 (BGBl. II 2008, S. 1038), in Kraft seit 1.12.2009 (BGBl. II 2009, S. 1223).
- 28Markus Kotzur, in Rudolf Geiger, Daniel-Erasmus Khan und ders. (Hg.),EUV/AEUV-Kommentar, 5. Aufl., München 2010, Art. 17 AEUV.
- 29Marchart, Differenz (Fn. 15), S. 329 ff., bes. S. 338 ff.
- 30John Locke,Two Treatises of Government, 2. Aufl., Cambridge 1970, Sec. Treatise, Chapt. 20 ff., S. 87, 91 ff. und passim.
- 31Helmut Goerlich, »Wir sind das Volk«, in Mitglieder der Juristenfakultät (Hg.),Festschrift der Juristenfakultät zum 600jährigen Bestehen der Universität Leipzig, Berlin 2009, S. 245 ff.
- 32Dazu Armin Hatje und Markus Kotzur, »Demokratie als Wettbewerbsordnung«, inVeröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 69 (2010), S. 135 ff. bzw. S. 273 ff.; dabei wären allgemeine Prinzipien einer säkularen, republikanischen Demokratie zu entwickeln, die transnational und so auch im supranationalen Kontext bedeutsam sind, dazu Thomas Gross, »Postnationale Demokratie«, in Rechtwissenschaft 2 (2011), S. 125 ff.; Marc André Wiegand und Benno Zabel, »Der demokratische Verfassungsstaat zwischen Ideal und Wirklichkeit«, in Der Staat 50 (2011), S. 73 ff. (100 f.).
- 33Herbert Krüger,Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1966, S. 179 ff.
- 34Klaus Schlaich,Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, Tübingen 1972, bes. S. 244 ff.; Stefan Huster, Die ethische Neutralität des Staates, Tübingen 2002, bes. S. 633 ff.; ders., »Das Prinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates – Gehalt und Dogmatik«, in Julian Krüper u. a. (Hg.), An den Grenzen der Rechtsdogmatik, Tübingen 2010, S. 5 ff.; dort S. 43 ff. die einen eigenen Beitrag darstellende Intervention von Markus H. Müller, der vom geltenden Staatskirchenrecht ausgeht und insofern sehr gut ergänzt; zur Neutralität als absolutem Wertungsverbot Lothar Michael und Martin Morlok, Grundrechte, 2. Aufl., Baden-Baden 2010, Rn. 182, 763.
- 35Georg Hermes, »Grundrechtsschutz durch Privatrecht auf neuer Grundlage? Das Bundesverfassungsgericht zu Schutzpflicht und mittelbarer Drittwirkung der Berufsfreiheit«, inNeue Juristische Wochenschrift 1990, S. 1764 ff.; Liv Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht. Eine Untersuchung der deutschen Grundrechte, der Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK sowie der Grundrechte und Grundfreiheiten der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden 2001; aus anderer Perspektive BVerfG, abgedruckt in Juristenzeitung 2011, S. 568 ff. mit Anm. von Christoph Enders; vgl. auch die Antrittsvorlesung von Johannes Masing am 8.7.2011: »Grundrechtsschutz trotz Privatisierung«; früher Rainer Wahl und Johannes Masing, »Schutz durch Eingriff«, in Juristenzeitung 1990, S. 553 ff.
- 36Karl-Heinz Ladeur und Ino Augsberg, »Der Mythos vom neutralen Staat«, inJuristenzeitung 2007, S. 12 ff.; dies., Toleranz – Religion – Recht. Die Herausforderung des »neutralen« Staates durch neue Formen von Religiosität in der postmodernen Gesellschaft, Tübingen 2007; s. auch Huster und Müller zu Neutralität und Parität, Grenzen (Fn. 34), S. 5 ff. bzw. S. 43 ff.
- 37Dazu die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Entscheidungen vom 23.9.2010 in Sachen Schüth ./. Deutschland, Nr. 1620/03, und Obst ./. Deutschland, Nr. 425/03, abgedruckt inEuropäische Grundrechte-Zeitschrift 2010, S. 560 ff. bzw. S. 571 ff., sowie zuletzt Entscheidung vom 3.2.2011, Siebenhaar ./. Deutschland, Nr. 18136/02 – noch nicht gedruckt.
- 38Yasuaki Onuma,A Transcivilizational Perspective on International Law, Leiden/Boston 2010.
- 39Marchart, Differenz (Fn. 15), S. 342 ff.
- 40Vgl. Hans D. Jarass, in ders. und Bodo Pieroth,Grundgesetz, 11. Aufl., München 2011, Art. 4, Rn. 27; darum geht es auch Frank Rottmann, »Toleranz als Verfassungsprinzip?«, in Juristenfakultät (Hg.), Festschrift (Fn. 31), S. 551 ff.
- 41Dazu Walter PaulyundCornelia Pagel, »Die Gewährleistung ungestörter Religionsausübung«, inNeue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2002, S. 441 ff.; zur Friedenssicherungspflicht des Staates in Religionssachen beiläufig Christian Walter, »Religiöse Toleranz im Verfassungssaat – Islam und GG«, in Hartmut Lehmann (Hg.), Koexistenz und Konflikt von Religionen im vereinten Europa, Göttingen 2004, S. 77 ff., bes. S. 98.
- 42Dieter Suhr, »Freiheit durch Geselligkeit. Institut, Teilhabe, Verfahren und Organisation im systematischen Raster eines neuen Paradigmas«, inEuropäische Grundrechte-Zeitschrift 1984, S. 529 ff.
- 43Insbesondere unter Aspekten des sozialen Bezugs neben dem personalen Bezug der Grundrechte, vgl. etwa BVerfGE 50, 290 (337 f., 340 f. und passim); dazu Dieter Suhr, »Mitbestimmungsgesetz als Verwirklichung verfassungs- und privatrechtlicher Freiheit«, inNeue Juristische Wochenschrift 1978, S. 2361 ff.
- 44Vgl. Dieter Suhr,Eigentumsinstitut und Aktieneigentum, Hamburg 1966, S. 52 ff. und früher; ders., Die Entfaltung der Menschen durch die Menschen – Zur Grundrechtsdogmatik der Persönlichkeitsentfaltung, der Ausübungsgemeinschaften und des Eigentums, Berlin 1976; heute vor allem Matthias Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte. Untersuchungen zur Grundrechtsbindung des Ausgestaltungsgesetzgebers, Tübingen 2005.
- 45Dieter Suhr, »Eine grundrechtsdogmatisch aufschlussreiche Zwangsversteigerung wegen vermögenswerter Rechte«, inNeue Juristische Wochenschrift 1979, S. 145 f.; und ders., »Die Freiheit vom staatlichen Eingriff als Freiheit zum privaten Eingriff?«, in Juristenzeitung 1980, S. 166 ff.
- 46Vgl. Friedrich Wilhelm Graf, »Zivilisierung der Religion als Selbstbegrenzung«, inNeue Gesellschaft – Frankfurter Hefte 4 (2011), S. 21 ff.; es ist demgemäß nicht erstaunlich, dass auf der rechtlichen Ebene Art. 72 Abs. 2 der Schweizer Bundesverfassung von 1999 den Bund und die Kantone ermächtigt, im Rahmen ihrer Zuständigkeit Maßnahmen zur Sicherung des religiösen Friedens zu treffen.
- 47Dazu Skinner, Foundations (Fn. 5), S. 244 f., bes. S. 249 ff. zu den»politiques« und ihrer Hoffnung auf Toleranz.
- 48Johannes Althusius,Politik, Berlin 2003, S. 71 ff. u. insbesondere Einleitung, S. XXIX ff.
- 49Vgl. Konrad Hesse,Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1979, Rn. 72, 317 ff. u. passim; Bäumlin, Staat (Fn. 11), S. 30 sowie vorher ohne den Terminus, aber in der Sache Henning Zwirner, Politische Treupflicht des Beamten (1956), Baden-Baden 1987, S. 233 ff.
- 50Dazu die Rezensionen von Jan Assmann,Religio duplex. Ägyptische Mysterien und europäische Aufklärung, Berlin 2010, also etwa Friedrich Wilhelm Graf, »Eine Einheit der Religion in der Vielfalt ihrer Stimmen? Jan Assmanns ideengeschichtliche Studie ›Religio duplex‹«, in Neue Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe, Nr. 18, 22.1.2011, S. 24, und Steffen Martus, »Siege des Lichts. Jan Assmann erkundet das Mysterienfieber der Aufklärung«, in Süddeutsche Zeitung, Nr. 104, 6.5.2011, S. 16 – wobei man unweigerlich auch an die gleichzeitige Präsenz der Zeichen der Freimaurer und eines Gottesglaubens in der amerikanischen Symbolik der Republik denkt, etwa auf Banknoten und Münzen; zu ersteren Michael Stolleis, Das Auge des Gesetzes, 2. Aufl., München 2004, S. 52 f., mit einer Interpretation auch der berufenen novus ordo seclorum.
- 51Dieter Conrad,Gandhi und der Begriff des Politischen. Staat, Religion und Gewalt, München 2006, S. 51 ff., bes. S. 64 ff., 71 und etwa S. 149 sowie S. 277.
- 52Conrad, Gandhi (Fn. 51), S. 71 ff.; auch bes. S. 114 ff., dort S. 116 u. ff.
- 53Raiser, Religion (Fn. 13), S. 284 ff.
- 54Max Weber, »Der Beruf zur Politik« (1919), in ders.,Soziologie – Weltgeschichtliche Analysen – Politik, Stuttgart 1956, S. 167 f., bes. S. 175 ff.; auch unter dem Titel »Politik als Beruf«, in ders., Gesammelte Politische Schriften, 2. Aufl., Tübingen 1958, S. 493 ff., dort S. 539 ff.
- 55Kantorowicz, The King’s Two Bodies (Fn. 1), S. 207 ff.
- 56Vgl. John Rawls,Political Liberalism, New York 1996, S. 133 ff.; Martha C. Nussbaum, Liberty of Conscience. In Defense of America’s Tradition of Religious Equality, New York 2008, S. 354 ff., 361 f. und früher.