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Editorial


Der thematische Bogen dieses Hefts reicht von einer wunderbaren Erinnerung an die Bedeutung und den Eigensinn wissenschaftlicher Sammlungen, die eine produktive kognitive Un- und damit auch eine bisweilen überraschende Neuordnung ermöglichen (Peter Strohschneider) und vom Archivfieber sowie ­neuesten Entwicklungen bei der Sammlung und Nutzung gedruckter und ­digitaler Texte in Bibliotheken (Ulrich Johannes Schneider) bis zur Erschließung und Bewahrung von Kulturlandschaften wie in der Landeskunde (Karl Mannsfeld), etwa auch unter besonderer Betrachtung von Bergbau (Günther Schönfelder), Naturschutz (Uwe Wegener) oder auch der Rechtsarchäologie (Heiner Lück). Gesammelt und erschlossen wird in der Wissenschaft so einiges – 
nicht nur alte Steine und Knochen, sondern auch Inschriften, Kunstwerke, ­Geräte, aber auch Manuskripte verschiedenster Autoren zu den vielfältigsten Themen. Nicht selten werden dabei aus zunächst scheinbaren Sammelsurien (etwa einem Konvolut von Briefen) bei der genaueren Analyse und Edition wahre Fundgruben für die Beschreibung größerer historischer Sinnzusammenhänge oder philosophisch-theologischer Debatten. Man denke etwa an die Briefe zwischen Christian Wolff und dem Grafen von Manteuffel (Jürgen Stolzenberg, Detlef Döring, Hanns-Peter Neumann) oder an die Briefe von und an Robert und Clara Schumann (Annegret Rosenmüller).


Es geht bei vielen Arten von Sammlungen nicht bloß um Dinge, die schön sind im Sinne Kants, sozusagen in reinem Interesse eines interesselosen Wohlgefallens. Sie sind häufig auch wichtige Stützen für unser Gedächtnis und Gedenken an Zustände, die wir inzwischen überformt haben, oft auf Nimmerwiedersehen. Frühere Zustände werden von uns in der Tat laufend unkenntlich gemacht; damit aber verlieren wir eine Art petrifiziertes Wissen und Können. Sammlungen und ihre Inventarisierung sind zugleich das dingliche Ergebnis geistesgeschichtlicher Forschung und damit auch ein Symbol für den scheinbar zwecklosen Zweck und Nutzen der Geisteswissenschaften überhaupt. Es bedarf solcher Sammlungen als eines wichtigen Teilbereiches der historia, der Aufzählung und Hererzählung dessen, was es wirklich gegeben hat und was früher wie gewesen ist. Sie sind zugleich Grundlage für eine detektivische ­Erforschung, wozu von Menschen gemachte Dinge taugten und wie sie gemacht wurden – also auch für eine Neukonstruktion von Wissen. Dazu wiederum bedarf es immer allen verfügbaren Wissens, von dem Kausalwissen der Naturwissenschaften bis zum Wissen über Psyche, Geist, Denken und Wissen der Menschen. Ein spannendes Beispiel dafür wäre ein transdisziplinäres Forschungsprojekt unserer Akademie gewesen: Linguisten, Archäologen, Chemiker und Materialwissenschaftler wollten damals der Frage nachgehen, wie es möglich war, Damaszener Stahl (oder auch ›Wielands Schwert‹) mit ›primitiven Mitteln‹ herzustellen, wie wir von heute her überheblich zu sagen belieben. Es ist schade, dass ein solches Projekt angesichts der Verkürzung der Aufgaben des Akademieprogramms auf gewissermaßen bloße Sammlungen durch den Wissenschaftsrat nicht als förderungswürdig beurteilt worden war – obgleich gerade solche Projekte den Sammlungen einen Sinn geben. 


In der Sparte »Diskussionen« geben wir in diesem Heft die Antworten auf die Leitfrage »Ist Glauben menschlich?« wieder, wie sie in einem Akademie-Forum am 30.9.2011 von Ingolf U. Dalferth und Heimo Reinitzer vorgetragen wurden. Das Verhältnis zwischen Wissen und Glauben bzw. der Endlichkeit des Menschen und der Unendlichkeit Gottes wird wohl nie leicht zu begreifen sein. Wir können insbesondere die einfache Tatsache nicht ignorieren, dass es zunächst bloß eine Versicherung ist, wenn einer sagt: »Ich weiß, dass es sich so verhält«. Aus der Sicht schon einer zweiten und erst recht einer dritten Person kann wegen unaufhebbarer Irrtumsmöglichkeiten mein vermeintliches Wissen sich immer als ein bloßer Glaube herausstellen. Ein berechtigter Wissensanspruch ist daher nach wie vor von einem bloßen Meinen zu unterscheiden, und ein bloßes Überzeugtsein (belief) von einer Haltung des Glaubens (faith) als eines hoffenden und durchaus auch liebenden Vertrauens zu den Menschen (wenigstens ›an sich‹) und zur Welt (wenigstens im Großen und Ganzen). Wer wie Dalferth in seinem schönen Buch mit dem Titel Umsonst sagen möchte, dass es sich im letzten Fall um eine Art Geschenk handelt, nämlich einen Glauben an Gott, der mag dies ruhig tun. Denn Gottvertrauen ist in der Tat eher ein Widerfahrnis und, wie eine allgemeine Stimmung oder ein Habitus, nicht unmittelbar willentlich von mir selbst erzeugbar. Statt von einer Beziehung Gottes zu den Menschen zu sprechen, werden sowohl gläubige als auch ungläubige Verteidiger dieses Weltvertrauens sich gegen einen sophistischen Szientismus ebenso richten wie gegen eine mystische Gnadenwahl und mit Heimo Reinitzer in jedem Fall ein imperativisches Gottesbild ablehnen. Sollten wir also in der Tat nicht lieber begreifen lernen, dass die Welt uns eben so anblickt, wie wir die Welt anblicken, als etwa mit William James bloß zu sagen, dass Gott dem die Treue hält, der ›ihm‹ die Treue hält?


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Heft 8 (2012)
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ISSN:
1867-7061

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