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Die Ortsnamen der Niederlausitz östlich der Neiße


Von Ernst Eichler und Christian Zschieschang (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, Band 81, Heft 6), S. Hirzel, Stuttgart/Leipzig 2011, 256 Seiten, 3 Abbildungen, 3 Beilagen, Broschur


Seit Jahrzehnten bildet die lexikographische Aufarbeitung der altsorbischen Ortsnamen und ihre sprachwissenschaftliche und siedlungsgeschichtliche Auswertung die zentrale Aufgabe der Leipziger Onomastik. Nach einer langen Reihe regionaler Untersuchungen und überregionaler Analysen (insbesondere im Rahmen des Slavischen Onomastischen Atlasses) konnte in den letzten Jahren erreicht werden, dass mit umfangreichen Namenbüchern für Sachsen, die Niederlausitz, das Mittelelbegebiet und einigen weiteren regionalen Studien der ganze Freistaat und die von altsorbischen Namen geprägten Landschaften Brandenburgs und Sachsen-Anhalts in regionalen Namenlexika erfasst sind. Außerdem liegt mit dem vierten Band des Kompendiums »Slawische Ortsnamen zwischen Saale und Neiße« aus der Feder Ernst Eichlers für alle Siedlungsnamen des altsorbischen Sprachgebietes eine wissenschaftliche lexikographische Aufarbeitung vor. Im Hinblick auf die umfassende Auswertung dieses immensen sprachlichen Materials ist insbesondere der Atlas altsorbischer Ortsnamentypen zu nennen.1 Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hatte an diesem Forschungsprogramm einen überaus gewichtigen Anteil. Manche der genannten Werke sind in ihrem Hause entstanden; für die Mehrzahl der übrigen und viele weitere ermöglichte sie die Drucklegung.


Bislang noch nicht systematisch erfasst wurden allerdings die östlich der Neiße gelegenen Teile der Nieder- und Oberlausitz, welche ebenfalls von altsorbischen Ortsnamenformen geprägt sind, die bisher in der namenkundlichen Literatur nur in wenigen Fällen berücksichtigt wurden. Da diese Gebiete seit 1945 zur (Volks)republik Polen gehören, wäre es unter den wissenschaftspolitischen Bedingungen der DDR einem revanchistischen Akt gleichgekommen, die nicht mehr offiziellen deutschen Ortsnamen in der gleichen Weise zu bearbeiten wie diejenigen westlich der Oder-Neiße-Grenze. Eine entsprechende Untersuchung musste daher unterbleiben.


Möglich wurde sie erst in den Jahren nach 1989, als unter Nutzung verschiedener Fördermöglichkeiten, insbesondere mit Unterstützung des Sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig), eine ­Datenbasis aufgebaut werden konnte. Diese mündete schließlich in das nun vorliegende Ortsnamenbuch der Niederlausitz östlich der Neiße, in dem fast 250 Ortsnamen, überwiegend slavischer bzw. altsorbischer Herkunft, eine ausführliche Darstellung und Analyse erfahren.


Die Ergebnisse dieser Untersuchung beschränken sich nicht auf die Erklärungen zu den einzelnen, mitunter beinahe kurios anmutenden Namen. Exemp­larisch ist Niemaschkleba zu nennen, schon seit dem 14. Jahrhundert bezeugt, worin sich unschwer ein Satzname erkennen lässt, aus dessen Komponenten sich die Bedeutung ›du hast kein Brot‹ bzw. ›man hat [dort] kein Brot‹ ergibt. Ganz offensichtlich wurde mit einer solchen Bezeichnung der geringe Wohlstand der Bewohner aufs Korn genommen. Derartige Konstruktionen sind für die Benennung von Orten nicht besonders häufig. In der Niederlausitz östlich der Neiße hießen jedoch gleich zwei Siedlungen, ohne einen engen geographischen Bezug zueinander zu haben, Niemaschkleba, während jedwede Parallelen im gesamten übrigen altsorbischen Sprachgebiet fehlen und eine vergleichbare Bildung erst wieder aus Mähren nachzuweisen ist.


Von der Betrachtung einzelner Namen abgesehen, trägt die Analyse der Ortsnamen zu einem besseren Verständnis der Sprach- und Siedlungs­geschichte bei und kann das Bild der Siedlungsentwicklung, das zuvor nur von Geschichte und Archäologie gezeichnet wurde, erheblich schärfen. Anhand der Verbreitung charakteristischer Namentypen zeigt sich zunächst eine kompakte Altsiedellandschaft, die von der slavischen Bevölkerung sukzessive und großflächig noch vor dem hochmittelalterlichen Landesausbau vergrößert wurde, welcher dann ebenfalls größere Teile der Region erfasste. Die Struktur der betreffenden Ortsnamen verweist deutlich auf ein Miteinander sorbisch und deutsch sprechender Siedler. Als das Kloster Nienburg an der Saale im Jahr 1000 den hier gelegenen Burgward Niempsi (Niemitzsch, heute Polanowice) mit umfangreichen Besitzungen erhielt, bekam es also mitnichten nur einen Stützpunkt am Ende der Welt, sondern eine umfangreiche Siedlungslandschaft, deren Nutzung kaum anders als lukrativ gewesen sein kann.


Die besondere sprachliche Situation der Landschaft brachte es mit sich, dass auch den zumeist erst aus dem 19. Jahrhundert überlieferten nieder­sorbischen Namenformen (z. B. Žarow für Sorau/Żary) und den im Jahr 1945 gebildeten polnischen Benennungen eigene Kapitel gewidmet wurden. In Bezug auf letztere zeigte sich eindrücklich, welche Mühe sich die seinerzeit dazu herangezogenen polnischen Linguisten gaben, trotz der überaus knappen zur Verfügung stehenden Zeit Namenformen zu entwickeln, die der sprachlichen Tradition der Namen entsprechen und sie fortführen.


Mit dem vorliegenden Werk wurden mithin die Namen einer Region ­beleuchtet, bei der es sich nicht einfach nur um ein bei der lexikographischen Erfassung übrig gebliebenes Gebiet handelt, sondern um eine sprachliche Landschaft, die mehr als andere über die Jahrhunderte hinweg von Übergangs- und Kontaktsituationen geprägt war. Dies gilt auch für die südlich angrenzende östliche Oberlausitz, für die, obgleich bereits umfangreiche Vorarbeiten geleistet wurden, eine vergleichbare Studie immer noch aussteht.


  1. 1Ernst Eichler, Volkmar Hellfritzsch, Hans Walther und Erika Weber, Historisches Ortsnamenbuch von Sachsen, 3 Bde., Berlin 2001 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 21); Siegfried Körner, Ortsnamenbuch der Niederlausitz, Berlin 1993 (Deutsch-slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte 36); Inge Bily, Ortsnamenbuch des Mittelelbegebietes, Berlin 1996 (Deutsch-slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte 38); Ernst Eichler, Slawische Ortsnamen zwischen Saale und Neiße, bisher 4 Bde., Bautzen 1985–2009; Ernst Eichler (Hg.), Atlas altsorbischer Ortsnamentypen. Studien zu toponymischen Arealen des altsorbischen Gebietes im westslawischen Sprachraum, bearb. von Inge Bily, Bärbel Breitfeld und Manuela Züfle, 5 Bde., Leipzig 2000–2004. Eine umfassende Bibliographie ist an dieser Stelle nicht darstellbar. Vgl. dazu die Literaturverzeichnisse in der hier vorgestellten Abhandlung und den oben genannten Werken.
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Heft 8 (2012)
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1867-7061

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