Sammlungen, die Bibliothek, die Zukunft
In den letzten Jahren grassierte unter Geisteswissenschaftlern das Archivfieber: Man sucht, auch in der durch gedruckte Texte überlieferten Vergangenheit, nach Sammlungen und ihren inneren Zusammenhängen. Man möchte über bekannte Textzeugnisse hinausgehen, man erforscht Kontexte, die sich in der Zeit verfestigt haben und nun in allen Tiefendimensionen studierbar sind. Man tritt gewissermaßen aus den geistesgeschichtlichen Selbstverständlichkeiten hinaus und nähert sich unbefangen dem, was man in anderen Formen schon kennt. So werden auch Bibliotheken interessant, sobald man über die normalen Routinen der Bestandsabfragen und über die Erforschung einzelner Stücke hinausgeht. Welche Fragen kann eine Bibliothek beantworten, nachdem sie die Fragen der wissenschaftlichen Curiositas und der alltäglichen Neugier schon beantwortet hat?
Das vom Archivfieber entzündete Interesse richtet sich auf Provenienzen, also auf Herkünfte von Einzelstücken bis zu ganzen Büchersammlungen, was auch immer in größere Sammlungen integriert wurde. In Museen ist dieses Interesse bekannt, weil es um wertvolle Stücke geht, deren Handel und Wandel ihren Wert mit beeinflusst. Die Bibliotheken werden vergleichsweise unvorbereitet getroffen, da sie sich in den vergangenen Jahrhunderten darauf konzentriert hatten, ihre Bestände sachlich zu erschließen und streng für wissenschaftliche Interessen aufzubereiten. Man verwischte die Herkünfte von Büchern, weil der Zugriff der Nutzer die Existenzberechtigung der Einrichtung ausmachte.
Wenn man nun verstärkt beginnt, sich für Aspekte zu interessieren, die ganze Büchergruppen definieren, so ist das auf der einen Seite nichts gänzlich Neues, weil ein historisches (oft anekdotisches) Interesse am Zustandekommen von Sammlungen immer bestanden hat. Auf der anderen Seite gibt es eine neue Intensität des Fragens, wie Wissen durch Textsammlungen konstituiert werden kann, die weit über die Zielsetzung des durchaus provenienzhistorisch ausgerichteten »Handbuchs der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa«1 hinausgehen.
Eine Zwischenbemerkung in eigener Sache sei gestattet: Die durch reiche und vielfältige Bestände ausgezeichnete sowie in der gezielt betriebenen Erschließung und Erforschung derselben fortgeschrittene Universitätsbibliothek Leipzig kennt durchaus dieses Interesse, in ihrem Innern nicht nur Zeugnisse »der« Wissenschaft, Literatur, Kultur etc., sondern Gebilde eigener Qualität mit innerem Zusammenhang zu finden. Es liegt im Zuge dieses Interesses, wenn wir neuerdings chinesische Bücher in chinesischer Schrift erschließen, hebräische in hebräischer Schrift, wenn wir islamische Handschriften in den Zusammenhängen beschreiben, in denen sie im 19. Jahrhundert in unser Haus gekommen sind, oder wenn wir die Inkunabeln der Universitätsbibliothek Leipzig in einem eigenen Katalog erschließen, der zugleich einen Teilkatalog des ehemaligen Dominikanerklosters darstellt. Ein zentrales Provenienzforschungsprojekt gilt der Feststellung von NS-Raubgut, wo gesellschaftliche bzw. politische Gründe am Zustandekommen der Sammlung mitwirkten. Geplante Vorhaben wie die Erschließung des Depositums der Israelitischen Gemeinde zu Leipzig oder eine digitalisierte Sudhoff-Forschungsbibliothek zur Medizingeschichte sind gleichfalls als sammlungsorientierte Erschließungsprojekte anzusehen.
Bibliotheken werden als historische Gebilde verstanden, deren Aufbau bzw. deren Wachstum selbst eine kulturhistorische Tatsache darstellt, die es zu differenzieren gilt. Kleinere Bibliotheken spüren ein verstärktes Forschungsinteresse, was ihre ursprüngliche Zusammenstellung angeht, und größere Bibliotheken müssen sich stärker der Frage stellen, woher und aus wie vielen einzelnen Teilbibliotheken sie bestehen. Archivfieber kann man dieses Interesse nach Beschreibung konkreter Einheiten im Meer vergangenen Wissens nennen, weil damit die Idee verbunden ist, Wissensbestände wie Nachlässe zu behandeln: als Spuren eines einstmals lebendigen Zusammenhangs, den aufzubrechen im Hinblick auf das, was ihn ursprünglich konstituierte, eine Aufgabe historischer Forschung darstellt.
Von diesen Beobachtungen ausgehend und durchaus mit Verständnis für solche Interessen kann man das Verhältnis von Bibliothek und Sammlung problematisieren, wie das im Folgenden durch einige allgemeine Überlegungen geschehen soll. Es wird sich recht unproblematisch herausstellen, dass Sammlungen, wie sie als Bibliotheken und in Bibliotheken dokumentierbar sind, in engster Weise mit dem wissenschaftlichen Arbeiten überhaupt zu tun haben. Dieser Konsens aus dem Druckzeitalter besteht weiter, auch unter modernen technischen Bedingungen der Wissenschaftskultur. Überraschender wird die sich daraus ergebende Konsequenz wirken, dass der Umbruch im wissenschaftlichen Arbeiten, der durch die digitale Technik zu verzeichnen ist, die Bedeutung von Sammlungen nicht durchstreicht – genauso wenig wie die von Bibliotheksgebäuden – sondern auf anderer Ebene neu definiert.
I.
Zwei historische Hinweise sollen eingangs genügen, um die Wissenschaftsrelevanz von Sammlungen – hier und im Folgenden verstanden als Bücher- bzw. als Textsammlungen – plausibel zu machen. Der erste historische Hinweis geht in die Antike zum Philosophen Aristoteles aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert. Von Aristoteles weiß man, dass er eine ansehnliche private Gelehrtenbibliothek besaß. Man kann seine Schriften zur Hand nehmen und wird sehen, wie ausführlich der griechische Denker auf Vorläufermeinungen eingeht, wie regelmäßig er verschiedene Hypothesen zitiert und prüft, bevor er sie verwirft und eigene entwickelt. Wissenschaft ist immer auch Auseinandersetzung mit alternativen Thesen und Theorien. Allgemein formuliert: Es gibt keinen Denker, der nicht in Bezug auf andere Denker operierte, der nicht in Absetzung von anderen Denkern formulierte. Anders gesagt: Wo wissenschaftliche Texte neu entstehen, ist bereits eine Sammlung anderer wissenschaftlicher Texte vorhanden. Als Überschreitung der bestehenden Bibliothek führt der Fortschritt in den Wissenschaften zu einer Erweiterung der Bibliothek.
Der zweite Hinweis geht auf das 20. Jahrhundert und auf die Bibliothek von Aby Warburg, zuerst in Hamburg, nun in London. Diese berühmte Textsammlung eines Renaissancewissenschaftlers ist eine große Forschungsbibliothek, die die eigenen Arbeiten von Warburg ebenso wie die Quellen dazu und die Kommentare von Kolleginnen und Kollegen enthält. Diese bis ins Kleinste wissenschaftlich gegliederte Bibliothek ist das eindrückliche Dokument einer lebenslangen Forschungsleistung. Es lässt sich allgemein von einer großen Zahl wissenschaftlicher Arbeitsprozesse sagen, dass sie in einer Bibliothek enden bzw. dass die Resultate der wissenschaftlichen Arbeit bibliothekarisch manifest werden. Nicht jeder hat die Mittel und die Ausdauer wie Warburg, aber recht eigentlich kann gesagt werden, dass das wissenschaftliche Arbeiten Themen und Texte versammelt und zusammenhält – gleichsam wie eine Bibliothek thematisch ausgezirkelter Texte innerhalb der Bibliothek der allgemeinen Überlieferung.
Nimmt man die beiden Hinweise in generalisierter Absicht, so lässt sich sagen, dass der Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens im Hin und Her von Einlassung auf und Distanzierung von Sammlungen stattfindet. Die Bibliothek, aus der heraus sich neue Forschung entwickelt und in die hinein sich neue Forschung dokumentiert, wird durch die komplexe Bewegung der Wissenstransformation in ihrem Charakter nicht grundlegend ver- ändert.
II.
Mit Blick auf die Bibliotheksgeschichte könnte man nun historisch genauer sein und sagen, dass das Büchersammeln tatsächlich erst anfangen konnte, als der Buchdruck es möglich und nötig machte, Texte auszuwählen. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war es kaum realistisch und ist auch wenig bezeugt, dass besonders große Sammlungen zustande gekommen sind. Wenn man kriegerische, politische und wirtschaftliche Gründe für das Zusammenraffen von Büchern ausschließt, gibt es als Vorbild eines rein sammlungsorientierten Bibliotheksaufbaus vor allem die Büchersammlung zu Wolfenbüttel, die beim Tode ihres Gründers Herzog August im Jahre 1666 die wohl größte europäische Bibliothek überhaupt darstellte. Die über 130.000 Titel wurden durch Herzog August im eigenen Katalog genauestens beschrieben – während weder der Kaiser in Wien noch der Papst in Rom, deren Handschriftenschätze unzweifelhaft bedeutender waren, mit Genauigkeit zu sagen in der Lage gewesen wären, wie viele Bände ihre Bibliotheken füllten. Herzog August hat aus wissenschaftlichen Interessen gesammelt, und zwar auf allen Gebieten, was in der Frühen Neuzeit noch ohne formuliertes Programm geschehen konnte. Eher gab es so etwas wie eine selbstverständliche Pragmatik des Büchersammelns, was schon die im 16. Jahrhundert vollzogene Requirierung von Büchern der ehemaligen Leipziger Klöster für die Universitätsbibliothek Leipzig bezeugt. Rektor Caspar Borner wählte damals für die alma mater wissenschaftlich brauchbare Werke aus Theologie und Philosophie aus, nicht aber liturgische Werke und »schöne« Literatur.
Eine Bibliothekszusammenstellung nach eher unausgesprochenen Kriterien der Nützlichkeit hat es im 16. und 17. Jahrhundert öfters gegeben. Die Theorie und die Praxis, Wissenschaftlichkeit zur Grundlage bibliothekarischer Sammlungen zu machen, begegnet uns erst am Ende des 18. Jahrhunderts in Göttingen, als der Bibliothekar Christian Gottlob Heyne den Plan umsetzt, die wichtigsten Bücher der europäischen Produktion in einer Bibliothek zu versammeln und parallel dazu Rezensionen dieser Bücher in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen zu veröffentlichen. Hier kommt beides zusammen, nämlich die Sammlung aus wissenschaftlichen Interessen und die Artikulation dieser wissenschaftlichen Interessen selbst.
III.
Nach einer langen Periode, in der die größeren Bibliotheken eher sprunghaft wuchsen, meist durch Schenkungen und Aufnahme von Sammlungen aller Art, wird das 19. Jahrhundert zum Jahrhundert der Professionalisierung der Bibliotheksarbeit, ganz besonders in Deutschland. Es gibt für den wissenschaftlichen Bucherwerb erstmals regelmäßige Mittel in substanzieller Höhe, moderne Bauten werden errichtet, die neben den Magazinen Büros für die Bibliothekare und Lesesäle für die Nutzer vorsehen. Änderte sich nun alles und entfiel damit der Zuwachs der Bibliotheksbestände durch Sammlungen? Keineswegs, nur das Umfeld wandelte sich.
Als 1705 die Gelehrtenbibliothek des Hebraisten Johann Christoph Wagenseil zum Verkauf stand, gingen seine Drucke nach Erlangen und seine Handschriften nach Leipzig, wo man die Ratsbibliothek damit bereicherte. Es gab keinen entsprechenden Sammlungsschwerpunkt, vielmehr zählte Kostbarkeit und Seltenheit. Anders war es, als die Pflanzenbuchsammlung Rudolph Benno zu Römers 1872 der Universitätsbibliothek Leipzig vermacht wurde. Diese Sammlung war über Jahrzehnte mit dem Kustos des Botanischen Gartens der Universität Leipzig aufgebaut worden und konnte so die regulär angeschafften Bücher im Bereich der Botanik ergänzen, eben um diejenigen Exemplare, die sich die Universitätsbibliothek Leipzig mit ihrem Etat nicht leisten konnte. Sammlungen haben also immer noch ihren Wert.
Zeitgleich mit der Professionalisierung der Bibliotheken im 19. Jahrhundert ist eine enorme Vergrößerung des Buchmarktes zu beobachten, die dazu führte, dass keine Bibliothek in allen Fächern sehr tiefgehende Sammlungsschwerpunkte ausbilden konnte. Für die Zwecke von Lehre und Forschung waren die Hochschulbibliotheken gezwungen, eine Vielzahl von Disziplinen in der ganzen Breite der dazugehörenden Literatur abzudecken. Nur einige wenige der allergrößten Bibliotheken konnten im 19. Jahrhundert als nationale Einrichtungen so umfassend kaufen, dass sie relevantes Wissen in allen relevanten Sprachen zu akkumulieren vermochten. Die Bestände der Nationalbibliotheken in London, Paris und Washington zeugen bis heute von der großen Anstrengung, den globalen Buchmarkt so weit zu durchdringen, dass nur das eindeutig Irrelevante draußen blieb.
Universitätsbibliotheken dagegen hatten nur die Möglichkeit, durch den Aufkauf oder die Annahme von extern erstellten Sammlungen entsprechend attraktiv zu werden. Dies geschah tatsächlich auch an vielen Orten. Reiche Schenkungen und Nachlässe belegen den hohen kulturellen Wert der Bibliotheken. Für die Universitätsbibliothek Leipzig gilt, dass sie im 19. Jahrhundert einerseits über einen der größten Ankaufsetats verfügte, zugleich auch zur reich beschenkten Einrichtung wurde: Mehr als 200 größere Teilbibliotheken sind im 19. Jahrhundert in den Bestand aufgenommen worden, von Einzelstück-Schenkungen wie dem Codex Sinaiticus (seit 1844 in Leipzig) oder dem Papyrus Ebers (seit 1873) zu schweigen.
So bleiben wissenschaftliche Bibliotheken auch in der letzten Phase des Druckzeitalters einerseits zweckdienliche und ständig nachgefüllte Magazine für Forschung und Lehre, andererseits kulturelle Container für exklusive und exquisite Spezialsammlungen, die irregulär aufgenommen werden. Sie sind – bei einiger Größe und hinreichendem Alter – immer beides, Adresse für das Angesagte und für das Ungewöhnliche zugleich.
IV.
Nun stellt sich die Frage, wie sich die heterogene Zusammensetzung von bibliothekarischen Sammlungsbeständen durch die Digitalisierung verändern wird. Diese Frage kann man wiederum zweifach stellen, nämlich einmal in Bezug auf die in gedruckter Form aufbewahrten Bestände, also historisch, und zum anderen in Bezug auf die Erwerbungspolitik der Zukunft, also funk- tional.
Historisch gesehen wird der Bestand an Handschriften und Drucken in absehbarer Zeit retrodigitalisiert und in irgendeinem der gängigen Formate, mit oder ohne Texterkennung, hauptsächlich online zugänglich sein. Jetzt schon gibt es bedeutende Reduplikationen von Spezialsammlungsbeständen. Das kann die Digitale Bibliothek von deutschen Autorinnen des 18., 19. und 20. Jahrhunderts sein, die an einer amerikanischen Universität erstellt wurde,2 das kann die Digitalisierung der im 17. Jahrhundert aus Heidelberg nach Rom verschleppten Bibliotheca Palatina3 sein – für beide Varianten, nämlich die durch Digitalisierung herstellbare thematische Fokussierung einer online zugänglichen Sammlung und für die Heranholung entfernter Bestände zur Rekonstruktion eines ursprünglichen historischen Zusammenhangs, kann man noch viele andere Beispiele anführen. Ein in Leipzig prominenter Fall ist der Codex Sinaiticus4, der 2011 digital im Netz vereint wurde, wobei die Manuskriptteile tatsächlich an den vier verschiedenen Orten London, Leipzig, Sankt Petersburg und dem Katharinenkloster auf dem Sinai verblieben.
Man spielt mit dem Digitalen, insofern nun die Sammlungstätigkeit nicht mehr an den Kauf, sondern an die Beherrschung einer bestimmten Technik gebunden ist, und produziert so eine Fülle von kleineren virtuellen Sammlungen, die nicht unbedingt mit dem Bestand einer einzigen Bibliothek an einem einzigen Ort zusammenfallen müssen. Die Universitätsbibliothek Leipzig hat in Zusammenarbeit mit der Buchmesse Leipzig 2012 ein Projekt »Weltbibliothek digital«5 realisiert, das Einblick in diese tatsächlich weltweit stürmisch betriebene Reduplizierung von Bibliotheksbeständen gibt.
Die andere Tendenz retrodigitalisierter Sammlungsbildung setzt nicht beim Prinzip der lokalen oder regionalen Fülle an, sondern beim Charakter der Komplementarität von Bibliotheken mit ihren jeweiligen Schwerpunkten. Noch im Druckzeitalter wurde das Projekt »Sammlung deutscher Drucke«6 ins Leben gerufen, das es einzelnen Bibliotheken in Deutschland zur Aufgabe machte, systematisch Literatur nachzukaufen, die bislang nicht nachgewiesen war. Im elektronischen Zeitalter werden die neuen Projekte die Digitalisierung von mittelalterlichen Handschriften, von Orientalia oder von Drucken des 18. Jahrhunderts bewirken und damit größere Bestandsgruppen online stellen, an deren digitale Repräsentanz wir künftig unsere Auskunftsbegehren richten werden.
Sammlungen vor Ort werden durch die Digitalisierung weniger sichtbar, weil in andere Nutzungskontexte versetzt, Sammlungen im Netz dafür gewinnen an Sichtbarkeit. Wenn man früher über spezielle Themen arbeitete, war die Benutzung mehrerer Bibliotheken an mehreren Orten unvermeidlich. Man musste reisen und viele Kommunikationsinstrumente in Bewegung setzen, um den Literaturbedarf für die eigene Arbeit zu befriedigen. Künftig wird Bibliothek nicht mehr das sein, was an einer bestimmten Stelle einen bestimmten Bestand bereithält, sondern künftig wird Bibliothek eine bestimmte Plattform sein, die in gewisser Hinsicht eine größtmögliche Vollständigkeit bietet. Die an der Universitätsbibliothek Frankfurt realisierte Sammlung der Judaica7, die über den Katalog INKA erschlossenen Wiegendrucke8, Spezialkataloge wie die mehrsprachig kommentierten islamischen Handschriften aus Leipzig9 sind künftig die relevanten Wissensräume, in denen wir uns forschend bewegen. Einige dieser Räume kosten Eintritt, wie beispielsweise die »Early English Books Online«10, andere sind frei wie »Gallica«11 oder all das, was in Deutschland mit Mitteln der DFG und anderer staatlicher Unterstützung digital produziert wird.
V.
Die Qualität der digitalen Bibliotheken wird höchst unterschiedlich sein, schon das ist jetzt zu beobachten. Es gibt – was den Bereich des bereits Gedruckten angeht – die bloße Insnetzstellung von Textfotografien, es gibt die Aufbereitung mittels Texterkennung, es gibt Kommentarfunktionen und mehr oder weniger ausführliche Verlinkungen zu relevanten Informationen anderer Plattformen. Auch die Produktion wissenschaftlicher Werke wird sich bald davon wegbewegen, als einfaches PDF auf irgendwelchen Publikationsservern herumzuliegen. Die Entwicklung der E-Books findet momentan auf sehr vielen verschiedenen Wegen statt und kennt ebenfalls große Qualitätsunterschiede, wenn man Suchfunktionen, Markierungsfunktionen, Indexbildung oder Bildeinbindung berücksichtigt. Wir bewegen uns also nicht von den Sammlungen weg, sondern in eine neue Welt voller Sammlungen hinein, die – wie im Druckzeitalter – von Interessen definiert werden und wissenschaftliche Perspektiven manifestieren.
Weil wissenschaftliches Arbeiten den Gegenstand versammelt, von dem es handelt oder von dem es sich wegbewegen will, und weil wissenschaftliches Arbeiten zusammenhängende Texte gewissermaßen als Sammlung – innerlich gebunden – produziert, also thematische Inseln im Meer der Informationen bildet, bleibt das Sammeln als Voraussetzung und als Ergebnis intellektueller Arbeit auch künftig merkbar und sichtbar. Eine universale Bibliothek ohne Tiefgang und Struktur, ohne Cluster und Knoten wird es nicht geben, solange Wissen von und für Menschen wichtig ist.
- 1Bernhard Fabian (Hg.), Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa, digitalisiert von Günter Kükenshöner, Hildesheim 2003, http://134.76.163.162/fabian (1.2.2012).
- 2The Sophie Project. A Digital Library of Works by German-Speaking Women, http://sophie.byu.edu (1.2.2012).
- 3http://palatina-digital.uni-hd.de (1.2.2012).
- 4http://www.codex-sinaiticus.net (1.2.2012).
- 5http://www.weltbibliothek-digital.de (ab März 2012 online).
- 6http://www.ag-sdd.de/ (1.2.2012).
- 7http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica (1.2.2012).
- 8http://www.inka.uni-tuebingen.de/ (1.2.2012).
- 9http://www.islamic-manuscripts.net (1.2.2012).
- 10http://eebo.chadwyck.com/home (1.2.2012).
- 11http://gallica.bnf.fr (1.2.2012).