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Johann Christoph Gottsched: Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe


Unter Einschluß des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Im Auftrage der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig herausgegeben von Detlef Döring und Manfred Rudersdorf


Band 6: Juli 1739–Juli 1740. Herausgegeben und bearbeitet von Detlef ­Döring, Franziska Menzel, Rüdiger Otto und Michael Schlott. De Gruyter, Berlin/Boston 2012, LXII + 744 Seiten, Festeinband


Band 6 der Ausgabe deckt im Vergleich zum vorangegangenen Band, der die Korrespondenz von anderthalb Jahren dokumentierte, nur noch 13 Monate ab. Nichts belegt deutlicher, wie die auf uns überkommene Briefüberlieferung jetzt immer dichter wird. Insgesamt 218 Briefe liegen aus dem genannten Zeitraum vor. Davon gehört der weitaus größte Teil, nämlich 126 Schreiben, zur Korrespondenz zwischen dem Ehepaar Gottsched und dem in Berlin lebenden Grafen Ernst Christoph von Manteuffel. Diese hohe Zahl ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass wir es hier mit einer der ganz wenigen Korrespondenzen zu tun haben, bei denen sich die Schreiben Gottscheds und seiner Frau fast vollständig erhalten haben. Mit 35 Briefen (davon 33 an Manteuffel) bietet Band 6 damit mehr Gottsched-Texte, als das bei allen anderen ­vorangegangenen Bänden der Fall gewesen ist. Die meisten dieser oft sehr umfangreichen Briefe waren bisher unpubliziert bzw. nur in knappen Auszügen bekannt. Das gilt in einem noch stärkeren Maße für die 27 im Band enthaltenen Briefe der Luise Adelgunde Victorie Gottsched (davon 24 an Manteuffel), deren Person uns über die Lektüre jener Schreiben mit aller Farbigkeit ent-
gegentritt. 


Der Gedanken- und Informationsaustausch zwischen dem Grafen als Führer der Berliner Anhänger des Philosophen Christian Wolff (die »Alethophilen«) und dem ebenfalls der »neuen Philosophie« verpflichteten Ehepaar in Leipzig füllt den hier anzuzeigenden Band nicht nur weithin in quantitativer Hinsicht, sondern die dort traktierten Themen bilden auch inhaltlich den Schwerpunkt des Bandes. Über lange Monate hinweg geht es sehr intensiv um den Gottsched erteilten königlichen Auftrag, eine Anleitung zum »vernünftigen Predigen« für die brandenburgisch-preußischen Studenten der Theologie zu verfassen. Die Alethophilen (Wahrheitsfreunde) in Berlin und Leipzig messen diesem Unternehmen die größte Bedeutung bei, denn man erhofft sich von einer solchen Homiletik die Ausbildung der zukünftigen Geistlichen zu Anhängern der Wolffschen Philosophie und damit zu Propagandisten der Überzeugung, Vernunft und Offenbarung stünden in vollkommener Harmonie zueinander. Die Auswertung des Briefwechsels mit Manteuffel würde der Forschung die Möglichkeit eröffnen, eine Rekonstruktion der Entstehung ­eines Werkmanuskriptes des 18. Jahrhunderts vorzulegen, die in solchem Detailreichtum bei anderen Büchern nur selten durchführbar ist. Gottsched stürzt sich mit Feuereifer in diese Aufgabe, wird aber immer wieder von der Furcht befallen, das in Arbeit befindliche Buch könne ihn in Sachsen, wo die anti­wolffianisch gesinnten Theologen das Sagen hatten, in größte Gefahren bringen. Auch die Entscheidung, das Werk anonym zu publizieren und das für den Berliner Verleger gedachte Druckmanuskript von Frau Gottsched schreiben zu lassen (um eine Identifikation der Handschrift zu verhindern), erscheint dem Verfasser nicht als hinreichender Schutz vor einer Entdeckung. Immer wieder muss daher der Graf Gottsched beruhigen und aufmuntern. Ende April 1740 gehen die letzten Seiten zum Druck nach Berlin, was jedoch kaum zur Minderung von Gottscheds Befürchtungen beiträgt.


Wenige Wochen später versetzt der langerwartete Thronwechsel in Preußen die Alethophilen in eine euphorische Stimmung. Der neue König, Fried­-
rich II., muss und wird in ihren Augen als »Roi-Philosophe«, als ein der Glückseligkeit seines Reiches verpflichteter Philosophenkönig in die Geschichte ­eingehen. Wenigstens in Leipzig werden jedoch bald Zweifel an dieser Hoffnung laut. Frau Gottsched teilt mit, das hiesige Urteil über die Berliner Residenzstadt unter dem neuen Regenten sei »so gar riesenmäßig nicht« und stellt dann die Meinung der Berliner Friedrich-Anhänger in Abrede, ein vernünftiger Herrscher (wie eben der neue König) werde zwangsläufig gemäß den Prinzipien der Vernunft handeln. Ihr Mann wiederum kann nicht verstehen, warum Friedrich eine neue Akademie in Berlin gründen wolle, wo doch bereits eine solche existiere, ins Leben gerufen durch den großen Leibniz: Wenn der »itzige Herr« die Stiftung seines Großvaters nicht erhalten wolle, müsse er mit einer gleichen Vernachlässigung seiner Schöpfungen durch die Enkel rechnen. Auch in den folgenden Bänden der Briefausgabe wird das Agieren des jungen Königs die Aufmerksamkeit der Gottscheds und ihrer Korrespondenten finden. 


Häufige Berücksichtigung sowohl in der Korrespondenz mit Manteuffel als auch in anderen Briefen finden die zwei wohl berühmtesten der von Gottsched in seinem Leben gehaltenen Reden. Gemeint sind die Festansprachen zum 100. Todestag von Martin Opitz, dem »Vater der deutschen Dichtkunst«, und zum 300. Jahrestag der Erfindung des Buchdrucks. Auch in der Durchführung dieser patriotischen Vorhaben sieht sich Gottsched von den Theologen schikaniert. Bei der Opitz-Rede klagen sie, der zeitgleich abgehaltene Gottesdienst sei durch diesen Vortrag unstatthaft tangiert worden. Bei der Jubelfeier anlässlich der Einführung des Drucks mit beweglichen Lettern verhindern die Theologen den Plan, dieses Fest in der Universitätskirche abzuhalten, die weit mehr Zuhörer hätte fassen können als der Hörsaal, auf den Gottsched nun ausweichen musste. Selbst die Intervention des Grafen Manteuffel kann diesmal keine Abhilfe schaffen. Gleichwohl haben beide Reden Erfolg – und dies nicht nur in Leipzig. Gottsched kann sich vieler aus allen Landesteilen einlaufender Briefe erfreuen, die seine Würdigungen des großen schlesischen Dichters und der kulturfördernden Wirkung des Buchdrucks mit Lob bedenken. 


Manche andere die Briefe durchziehenden Mitteilungen, Anfragen und Diskussionen sind uns bereits aus den früheren Bänden wohl bekannt: die Bitten um Unterstützung finanziell bedürftiger Studenten, Gottscheds Zeitschrift »Beyträge zur Critischen Historie der deutschen Sprache«, die Philosophie­geschichte des süddeutschen Geistlichen und Lehrers Jakob Brucker, die Verhältnisse an anderen Universitäten, Krankheiten (vor allem des Grafen Manteuffel), Kampf und Sieg der Leibniz-Wolffschen Philosophie, das Ringen mit den ganz und gar verhassten Pietisten, die Übersetzung von Pierre Bayles Wörterbuch, die Suche nach Hofmeisterstellen für abgehende Studenten oder Leipziger Lokalereignisse. Besonders viel Raum innerhalb mehrerer Briefe nimmt die belustigende Berichterstattung über die Obduktion eines Maulesels ein, die die Ursache für das Fehlen der Fruchtbarkeit dieses Tieres ergründen soll. Gottsched selbst besucht den Anatomiesaal und lässt sich von den kontroversen Theorien der Mediziner unterrichten.


Band 7 mit dem Briefwechsel des Zeitraums August 1740 bis Oktober 1741 wird im Sommer des kommenden Jahres (2013) publiziert werden. 


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Heft 9 (2012)
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1867-7061

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