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»alles … für mein Althochdeutsches Wörterbuch«

Zum 50. Todestag von Elisabeth Karg-Gasterstädt (9. 2. 1886–24. 8. 1964)1

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»Leben muß der Wortforscher mit seinem Stoff, in ihn hineinhorchen, denn auch die Wörter sind froh, wenn sie von dem Geheimnis ihres Wachstums erzählen können. Aber sie verlangen eine geduldige Hand und ein zum Horchen bereites Ohr, doppelt bereit, denn der Klang, der uns über die Jahrhunderte herüber ­erreicht, ist oft sehr schwach.«2

Mit diesen feinsinnigen Worten hat Elisabeth Karg-Gasterstädt – die erste planmäßige Leipziger Universitäts-Professorin und eines der ersten weiblichen Mitglieder der Sächsichen Akademie der Wissenschaften – ihr Tun und Schaffen beschrieben, das sie fast 30 Jahre, aber keineswegs ausschließlich in den Dienst des Althochdeutschen Wörterbuches stellte.


Als eine »Meisterin der Geschichte deutscher Sprache und Literatur« und »Gelehrte von internationalem Rang« bezeichnete sie der berühmte Leipziger Ägyptologe und Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Siegfried Morenz (1914–1970).3 Und Theodor Frings (1886–1968), der renommierte Sprachforscher, Akademiepräsident und Vorgesetzte Karg-Gasterstädts, sah mit ihrem Tod »eine Epoche sprachwissenschaftlicher Forschung« zu Ende gehen, »die nach der Mitte des 19. Jahrhunderts anhob, und die die Welt wie selbstverständlich mit dem Namen der Universität Leipzig verband« – eine Epoche, die als ›Leipziger Schule der Junggrammatiker‹ bekannt geworden und eng mit dem Namen Eduard Sievers (1850–1932) verbun
den ist.


Letzterer hat Elisabeth Karg-Gasterstädts »geistigen Weg bestimmt«,5 seit sie – fast 30-jährig – bei ihm 1915 ihr ein Jahr zuvor in Tübingen begonnenes Studium der Germanistik fortsetzte.6 Bei Sievers erhielt sie bis zum Studien­ende 1918 eine umfassende sprachhistorische Ausbildung, anschließend war sie als Bibliothekarin des Germanistischen Instituts tätig und promovierte Zur Entstehungsgeschichte des Parzival. Von 1920 an war sie Institutsassistentin, bibliografierte für die Jahresberichte des Literarischen Zentralblattes und das Indogermanische Jahrbuch und bot Einführungen in die germanistische Bücherkunde an. 1922 heiratete sie Fritz Karg (1892–1970), der ebenfalls bei Sievers promoviert hatte. Nach der »Machtergreifung« durch die Nationalsozialisten 1933 erfolgte die Entlassung Karg-Gasterstädts aus dem Universitätsdienst: Sie galt als sogenannte ›Doppelverdienerin‹, d. h. als arbeitende Ehefrau, deren Mann bereits erwerbstätig ist.7

Kurz darauf fiel Karg-Gasterstädt aber eine wissenschaftliche Aufgabe zu, die zu vollenden nun Aufgabe heutiger Sprachforscher ist: die Schaffung eines umfassenden Althochdeutschen Wörterbuchs, das die gesamte frühdeutsche Sprachüberlieferung vom 8. bis zum 11. Jahrhundert (bei abschriftlicher Tradition auch bis zum 13./14. Jahrhundert) aufarbeiten soll. Seit Januar 1935 arbeitete Karg-Gasterstädt an der Konzeption und Umsetzung dieses Wörterbuchs, zu dem die von Elias von Steinmeyer vorbereiteten Materialsammlungen die Grundlagen lieferten.


Nach Kriegsende berief die Universität Leipzig Karg-Gasterstädt als Oberassistentin zurück an das Germanistische Institut. Sechs Jahre später, 1952, wurde sie schließlich zur ersten planmäßigen Professorin der Leipziger Universität ernannt. Daneben war Karg-Gasterstädt seit 1932 Mitherausgeberin der international renommierten Fachzeitschrift Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Kontinuierlich schrieb sie auch bio-bibliografische Beiträge, unter anderem für das Verfasserlexikon des deutschen Mittelalters (1933–1955).


Gekrönt wurde das wissenschaftliche Schaffen Karg-Gasterstädts am 
31. Juli 1955, als sie als erste Frau in die philologisch-historische Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig gewählt wurde. Zu ­ihrem 75. Geburtstag 1961 erhielt sie zudem den Vaterländischen Verdienstorden der DDR und wurde mit einer Festschrift gewürdigt – eine Ehre, die einer Frau in dieser Zeit höchst selten zukam.


Internationale Anerkennung erlangte Karg-Gasterstädt durch »ihr« Althochdeutsches Wörterbuch, das wie das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm den »Charakter eines Jahrhundertwerks« trägt. Bis zu Karg-Gasterstädts Lebensende waren der erste Band (A und B) und Teile des D weitgehend ausgearbeitet, den Publikationsabschluss des ersten Bandes erlebte sie indes nicht mehr. Doch ihr Wissen, ihre Methodik und wissenschaftliche Akribie hat sie an ihre Mitarbeiter weitergegeben: Gertraud Müller übernahm nach Karg-Gasterstädts Tod die Leitung der Arbeitsstelle, gefolgt von Heinrich Götz und Siegfried Blum. Ingeborg Köppe (geb. Benath) baute die letzte Generation der »Wortforscher« auf, die derzeit am sechsten Band (M und N) und an der Fertigstellung des Werkes bis 2030 arbeiten.


  1. 1Dem Beitrag liegt eine ausführlichere Version zugrunde, die im Mitteldeutschen Jahrbuch für Kultur und Geschichte 21 (2014), S. 276–280 erschien.

  2. 2Zit. nach Gertraud Müller, Nachruf »Elisabeth Karg-Gasterstädt, 9. 2. 1886–24. 8. 1964«, in Sächsiche Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Hg.), Jahrbuch 1963–1965, Berlin 1967, S. 327–329, hier S. 329; von ebd. auch das Titelzitat.

  3. 3Siegfried Morenz, Trauerrede im August 1964, in Personalakte Karg-Gasterstädt, Archiv der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Archiv SAW). Zu Morenz siehe auch den Artikel von Elke Blumenthal in diesem Heft.

  4. 5Müller, Nachruf (Fn. 1), S. 327.

  5. 6Vor dem Studium besuchte Karg-Gasterstädt das Höhere Lehrerinnenseminar in Stuttgart und war anschließend zwei Jahre als Lehrerin tätig.

  6. 7Karg hatte von 1929 an den neu eingerichteten Lehrstuhl für Deutsche Sprache, Literatur und Volkskunde an der Universität Leipzig inne. 1933 gehörte er zu jenen Leipziger Professoren, die sich öffentlich zum Nationalsozialismus bekannten. Wegen Betrugsdelikten wurde Karg 1934 seines Amtes enthoben und später verurteilt. Elisabeth Karg-Gasterstädt ließ sich von ihm scheiden.
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Heft 13 (2014)
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1867-7061

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