Hanns-Peter Neumann: Der preussische Kronprinz Friedrich und die französische Übersetzung der ›Deutschen Metaphysik‹ Christian Wolffs im Jahr 1736.
Die Identifizierung der Krakauer Handschrift Ms Gall. Fol. 140 in der Biblioteka Jagiellonska und der Berliner Handschrift P. 38 in der Bibliothek des Schlosses Charlottenburg«, in Forschungen zur Brandenburgischen und Preussischen Geschichte, NF, 24/1 (2014), S. 35–68.
Die historisch-kritische Edition des Briefwechsels zwischen dem Aufklärungsphilosophen Christian Wolff und dem ehemaligen kursächsischen Gesandten und Kabinettsminister Ernst Christoph Graf von Manteuffel wird seit 2011 von der DFG gefördert und ist ein Kooperationsprojekt der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg.1
Im Zuge der Recherchen für die Kommentierung des ersten Bandes der Korrespondenz zwischen Wolff und Manteuffel hat sich nun ein denkwürdiger Fund ergeben. Anlass dafür gaben Briefstellen, in denen Wolff und Manteuffel den Einfluss der wolffschen Philosophie bei der Marquise du Châtelet, Voltaire und dem preußischen Kronprinzen Friedrich diskutierten und dabei eine frühe französische Übersetzung der Deutschen Metaphysik Wolffs erwähnten.2 Diese vom preußischen Kronprinzen 1736 in Auftrag gegebene französische Übersetzung der Deutschen Metaphysik (= Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, Halle 1720) galt in der Forschungsliteratur bislang als verschollen.
Dass anhand der Sichtung zweier Handschriften, wovon die eine in der Biblioteka Jagiellonska in Krakau, die andere in der Bibliothek des Schlosses Charlottenburg in Berlin liegt, es nun erstmals gelungen ist, die erste französische Gesamtübertragung des metaphysischen Hauptwerks Wolffs zu identifizieren, darf daher als besonders erfolgreicher Nebeneffekt der editorischen Arbeit am Wolff-Manteuffel-Briefwechsel angesehen werden. Als besonders glückliches Additum ist der Umstand zu werten, dass Titelblatt, Randbemerkungen und Korrekturen im Krakauer Manuskript von der Hand Friedrichs höchstpersönlich stammen. So trägt das Krakauer Manuskript, das den ersten Teil der Übersetzung der Deutschen Metaphysik enthält, den von Friedrich geprägten und eigenhändig geschriebenen Titel »Meta Phisique de Wolff / 1. partie / qui contyent / Le Dictionaire de Sa / Metaphisique/ oux / L’explication des termes / dont il se servira dens / le cours de Sa metaphisique. / Traduit de L’Alemens / par N: N:«. Hinter »N: N:« verbirgt sich Ulrich Friedrich von Suhm, der von 1720 bis 1730 kursächsischer Gesandter in Berlin war und von dieser Zeit an zum engeren Freundeskreis des preußischen Kronprinzen gehörte.
Dieser Fund ist für die Forschung zu Friedrich, Voltaire, Wolff und Émilie du Châtelet schon deswegen von Wichtigkeit, weil es eine Kopie der Übersetzung Suhms war, die der preußische Thronfolger Voltaire und der Marquise du Châtelet geschickt hat, um eine gemeinsame Basis für das Studium und die Diskussion der leibniz-wolffschen Philosophie zu haben.
In dem Ende 2014 publizierten Aufsatz werden nicht nur die beiden Handschriften und Friedrichs Randbemerkungen genau beschrieben, sondern auch der Entstehungskontext der französischen Übersetzung der Deutschen Metaphysik eingehend analysiert – dazu gehören u. a. Friedrichs beginnende Korrespondenz mit Voltaire und Émilie du Châtelet sowie die Situation des Wolffianismus in Preußen – und die Bedeutung, die Wolffs Metaphysik für den preußischen Thronfolger hatte, in biografischer und aufklärungspolitischer Hinsicht dargelegt.
- 1Siehe dazu die Beiträge von Jürgen Stolzenberg, Detlef Döring und Hanns-Peter Neumann in Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Heft 8 (2012), S. 56–84, http://denkstroeme.de/heft-8 (30. 3. 2015).
- 2Siehe die Briefe Nr. 30, Z. 70 ff., Nr. 33, Z. 70 ff., Nr. 52, Z. 39 ff. und Nr. 54, Z. 22 ff., in http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/10644/Open_Access_1_Wolff-Manteuffel_Transkriptionen_%20Briefe_001_bis_150.pdf (30. 3. 2015).